Die goldgelb leuchtende Stadt

In den meisten Städten der Welt ist das gemütliche Licht der Gaslaterne erloschen. Düsseldorf ist eine seltene Ausnahme. Etwa 14.000 Leuchten sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt – die Welthauptstadt der Gaslaterne?

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Die abendliche Dunkelheit verleiht vielen Düsseldorfer Vierteln einen einzigartigen Charme. Dann tauchen die Laternen am Straßenrand ihre Umgebung in ein warmes, goldgelbes Licht. Die Lampen werden mit Gas betrieben, die Farbe ihres Lichts erzeugt bei vielen Menschen eine angenehme Stimmung. Diese Atmosphäre ist nur noch den Nachtschwärmern in Düsseldorf vergönnt, denn die Zeit der Gaslaternen läuft ab. Vielerorts sind sie längst verschwunden, die Städte verabschieden sich vom Gaslicht. Wo die Flammen erloschen, erhellen preisgünstige LED-Lampen den Menschen den Weg. „Düsseldorf kann die Welthauptstadt der Gaslaterne werden“, sagt Lutz Cleffmann. Etwa 14.000 Leuchten stehen noch in der Stadt. Cleffmann kämpft seit Jahren als Sprecher der „Initiative Düsseldorfer Gaslicht“ für den Erhalt dieses „Kulturguts, das die Geschichte der Landeshauptstadt abbildet“. Die historische Bedeutung sei aber nur ein Motiv für den Einsatz zum Erhalt dieser 200 Jahre alten Technik. „Es geht um das spezielle abendliche Flair der Straßen unserer Stadt“, ergänzt er.

Düsseldorf, Welthauptstadt der Gaslaterne?

Schon der Blick auf die Technikgeschichte liefere gute Argumente für den weiteren Betrieb der Laternen, sagt Horst A. Wessel. Der Historiker leitete 25 Jahre das Archiv des Stahlriesen Mannesmann. „Die Entwicklung keiner anderen Kommune ist so eng mit dem Gaslicht verbunden wie die von Düsseldorf“, erklärt der Professor. Dabei blickt Wessel zurück auf das Jahr 1860, als die Familie Poensgen aus der Eifel an den Rhein zog und in Oberbilk ein Röhrenwerk eröffnete. Albert Poensgen besaß in der Eifel mehrere Eisenhütten. Doch mit der Düsseldorfer Fabrik brach der Unternehmer ein Monopol, mit dem die englische Eisen- und Stahlverarbeitung große Gewinne einfuhr. „Poensgen hat es als erster in Deutschland geschafft, längsnahtgeschweißte Rohre herzustellen“, berichtet Wessel. Eben solche Rohre benötigte man als Versorgungsleitungen für ein enges Netz von Gaslaternen in der Stadt. 

Nach Poensgens Vorbild entstanden viele weitere Röhrenwerke und schafften Arbeitsplätze. Düsseldorfs Einwohnerzahl verdoppelte sich binnen 23 Jahren auf mehr als 100.000 Bürger. 1909 lebten bereits mehr als 300.000 Menschen in der aufstrebenden Stadt. Die neu errichteten Wohngebiete wurden gleich mit Leitungen für das Gaslicht versorgt, die Poensgen aus seinem eigenen Gaswerk belieferte. Das Licht der Laternen bedeutete für die Bürger nicht nur mehr Sicherheit in der Stadt. Es ermöglichte den Industriellen auch eine längere Laufzeit der Maschinen, weil die Arbeiter auf dem Weg in die Fabriken und zurück nicht mehr vom Tageslicht abhängig waren. Fabrikhallen und Werkstätten wurden beleuchtet. Die Straßenlaternen waren in ihrer Boomphase mehr als nur ein Lieferant von wohliger Atmosphäre. Für Wessel ist es kein Zufall, dass die mittelgroßen und großen Städte in Europa und Amerika häufig in Eigenregie ein dichtes Netz von Gasleitungen installierten – lange bevor die Bürger mit fließend Wasser versorgt wurden.

Übersichtskarte der gasbeleuchteten Straßen in Düsseldorf.

Übersichtskarte der gasbeleuchteten Straßen in Düsseldorf.

Das neue Licht erhellte nicht nur Straßen, Werkstätten und Wohnungen. Es veränderte gleichzeitig Arbeitswelt und Freizeit. Zwar beschäftigte Kurfürst Jan Wellem schon im 18. Jahrhundert einen Laternenanzünder, der Petroleum oder Rüböl in etwa 200 Lämpchen entzündete, die an den Wänden der Altstadthäuser hingen. Doch deren Schein war nicht mehr als eine Funzel. Erst das Gaslicht verlängerte den Kulturbetrieb des Theaters, der Cafés und Kneipen bis in den späten Abend. Düsseldorf erlebte seine Gaslicht-Premiere schon bevor Poensgen in die Stadt kam – vermutlich 1841 im Rathaus und im Theater. Doch der Brennstoff musste damals in großen Behältern mit dem Pferdekarren in die Häuser geliefert werden. Poensgens Rohre erleichterten den täglichen Einsatz der Technologie.

Viele Jahrzehnte blieben die Gaslaternen ihrer Konkurrenz überlegen. Doch in den 1960er-Jahren verloren sie an Popularität. Strom war genug verfügbar, zudem billiger und die elektrischen Lampen oft auch heller. Lutz Cleffmann kennt die Argumente in diesem Streit, der in Düsseldorf seit 2009 ausgetragen wird. Damals kündigte die Stadtverwaltung den Abbau sämtlicher Gaslaternen an. Aber während in anderen Städten der Abschied vom Gaslicht kaum Aufregung produziert, entwickelte sich in Düsseldorf Widerstand gegen die LED-Technik. Schon kurz nachdem die Pläne der Stadtverwaltung publik wurden, erschien die erste Petition zur Rettung der Laternen. Gabriele Henkel prangerte darin einen „fahrlässigen Umgang mit städtischer Identität“ an. Schon dieser Aufruf setzt nicht nur auf sachliche Argumente: „Schmeichelnd verführen die traditionellen Laternen zu Verabredungen und Rendezvous, und der Bürger fühlt sich geborgen“, schreibt Henkel. Diese Emotionalität blieb der Debatte in den kommenden Jahren erhalten.

Fahrlässiger Umgang mit stätdischer Identität.

Wie groß das Engagement der Menschen für die Gaslaternen werden kann, zeigt das Beispiel des Ratingers Harald Schwarz. Sein Vater war als Gasleuchtenwärter bei den Stadtwerken Düsseldorf beschäftigt. Der Sohn machte sich zu Fuß auf den Weg, alle Gaslaternen der Stadt zu zählen und zu dokumentieren. Schwarz hat seine penible Arbeit von 2010 bis 2016 im OpenStreetMap festgehalten. Seine Spaziergänge führten ihn zu 15.114 Gasleuchten. 

Natürlich geht es auch um Sachfragen: Ein zentraler Punkt ist der Energieverbrauch. Eine moderne LED-Leuchte könne gegenüber einem Gaslicht 90 Prozent der Energie einsparen, heißt es. „Niemand bestreitet, dass Gaslaternen mehr Energie verbrauchen als elektrische Leuchten“, sagt Cleffmann. Für eine ehrliche Bilanz müsse aber der Primärenergieeinsatz verglichen werden. „Beim Strom gehen rund zwei Drittel der Energie durch Umwandlungs- und Leitungsverluste verloren“, ergänzt er. Zudem lässt sich eine Gaslaterne nicht einfach kostengünstig elektrifizieren, indem man ein Kabel darin verlegt und eine Glühbirne montiert. „Eine Gaslaterne ist ein ausgereiftes technisches System, bei dem nicht einfach ein Element ausgetauscht werden kann“, erklärt Cleffmann. Das Gas verhindert zudem Rost im Inneren des Laternenmastes, während das elektrische Gegenstück speziell geschützt werden muss. Die Erfahrung zeige, dass die teilweise über 100 Jahre alten Laternen durch komplett neue Elektroleuchten ersetzt werden müssen. Damit verschwinde nicht nur Tradition aus dem Stadtbild. Zusammen mit der Verlegung der Stromkabel sei das ein „Riesenaufwand“, sagt Cleffmann. 

Ein Kompromiss scheint möglich.

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Auch das Licht der Laternen gefällt nicht jedermann. Was die einen als heimelig empfinden, ist anderen schlicht zu dunkel. Dunkle Straßen können Angsträume sein, Gefahrenstellen sollen hell ausgeleuchtet werden. Die Stadtverwaltung hält die Wartung der Lampen für zu aufwendig und zu teuer. Argumente werden ausgetauscht, aber der Ton im Kampf um die Gaslaternen wird im Laufe der Jahre rauer. Von „Gaslicht-Bösewichten“ oder „Gaslichthassern“ ist die Rede. Einige Anwohner wehren sich, weil die Verwaltung über die Köpfe der Bürger hinweg regieren wolle. Sie drohen bei den sehr gut besuchten und emotionalen Informationsabenden mit zivilem Ungehorsam: Notfalls werde man sich an die Gaslaternen festketten. Im Herbst 2014 legte die Stadtverwaltung einen Entwurf ihres Licht-Masterplans vor. Nur 4.000 Laternen in ausgewählten Quartieren sollten stehenbleiben. Das ließ das Fass überlaufen. Düsseldorf erlebt im April 2015 die erfolgreichste Petition der Stadtgeschichte: über 10.000 Unterschriften für den Erhalt des Gaslichts. Der Stadtrat suchte lange seine Position. Im Dezember garantierte er den dauerhaften Betrieb von mindestens 4.000 Leuchten – die Bewahrer des Gaslichts werten das Wort „mindestens“ als einen ersten Sieg. In diesem Jahr soll der lange Gaslichtstreit endlich beigelegt werden. Tatsächlich scheint ein Kompromiss möglich. Die Stadtwerke als Betreiber haben erklärt, dass die technischen und juristischen Probleme ausgeräumt seien und die Gasbeleuchtung dauerhaft erhalten werden könne. Der Ausbau der eigenen Werkstatt hilft beim Erhalt der Laternen. Die städtische Beigeordnete Cornelia Zuschke, seit September 2016 im Amt, wirbt für einen „konstruktiven Prozess“. „Ein vernünftiger Umgang mit der Gasbeleuchtung sollte uns ein gemeinsames Anliegen sein", sagt sie. 2018 begann ein von ihr initiierter Dialogprozess mit der Bürgerschaft. Im vergangenen Sommer nahmen fünf Arbeitsgruppen die letzten Fragen in Angriff, um den zehn Jahre dauernden Streit beizulegen. Das Beispiel der Gaslaterne zeigt, wie die Stadt und ihre Bürger auch bei umstrittenen Themen einen Kompromiss finden können.

Möglich, dass die alten Laternen bald eine Touristenattraktion werden. Der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz (RVDL) bietet bereits Gaslichtspaziergänge an. Auch London erinnert mit speziellen Führungen an das historische Flair. In Kalifornien vermarktet die Stadt San Diego Teile der Altstadt sogar als Gaslamp Quarter, obwohl dort kaum noch Leuchten stehen. Cleffmanns Lieblingsstraße für Gasbeleuchtung ist übrigens die Flügelstraße in Oberbilk. „Dort sieht man besonders gut, wie eine Gasbeleuchtung der Straße eine andere  Atmosphäre verleiht“, sagt er. •


Autorin: Rainer Kurlemann 

Fotos: Initiative Gaslaterne


VIVID 01 | 2020

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