Keine Zukunft ohne Innovation

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Die Innovation spaltet die Nation. Alle sprechen von ihr, fast inflationär. Dabei lässt sie sich gar nicht wirklich definieren, weil sie vielschichtig ist, weil sie groß ist, groß sein kann. Erneuerungen bringen Risiken mit sich, sonst wären es keine. Und nicht alles Neue ist bedingungslos gut und alles Alte schlecht. Fakt ist: Das Neue kommt!

„Innovationen sind das Leben, das wir noch vor uns haben. Und dieses Leben wird abwechslungsreicher, überraschender werden als das, was wir in den vergangenen drei, vier Jahrzehnten erlebt haben. Das fordert von jedem Einzelnen: Wir müssen lernen, uns zu entscheiden. Der Kern aller Innovation ist das Erkennen des Unterschieds und das Einlassen darauf“, schreibt Wolf Lotter in seinem Buch „Innovation – Streitschrift für barrierefreies Denken“.

Jeder von uns ist jeden Tag von Dingen, Prozessen und Produkten umgeben, die neu sind, die das Leben leichter machen, aber manchmal eben auch irritieren können. Durch die Digitalisierung schreiten Innovationen in Lichtgeschwindigkeit voran, Unternehmen sind teilweise verunsichert, wissen nicht, ob sie innovieren sollen, und wenn ja, wie das aussehen soll, wie das funktionieren kann in den gewachsenen und seit Jahrzehnten eta­blierten Strukturen. Und dabei stellen sie sich zwangsläufig die Frage, ob sie überhaupt Innovationen brauchen.

„Wenn ein Unternehmen rein auf kurzfristige Profitmaximierung angelegt ist, braucht es keine Innovation. Und auch in einigen wenigen Nischen, wie zum Beispiel in der Immobilienwirtschaft, ist es heute durchaus noch ökonomisch, nach 08/15-Schema zu verfahren. Beide Varianten haben allerdings nichts mit einem zukunftsorientierten Unternehmen zu tun. Denn reine Profitmaximierung hat uns ja einen großen Teil des Schlamassels eingebrockt, in dem wir uns heute wiederfinden: Wachstum um den Preis des Verzehrs unserer Lebensgrundlagen. Konkret: Wir brauchen zu viele knappe Ressourcen, um für zehn Milliarden Menschen ein Leben in unserer aktuellen Idee von Wohlstand zu ermöglichen“, sagt Futurist und Unternehmer Christopher Peterka.

Dieses Problem ist bekannt und trotzdem bleibt die Angst vor Erneuerungen, denn sie bringen Veränderung mit sich und daraus resultiert Ungewisses: Man weiß ja nicht, was kommt. Das Vertraute kennt man, auch wenn es vielleicht nur suboptimal funktioniert.

Die perfektesten Kutschen 
entstanden,
als 
sich das Auto durchsetzte.
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Innovation ist eine Kulturfrage, man braucht geistige und kreative Gedanken, Stärke ist zweitrangig. Fleiß steht nicht mehr über 
Kreativität. Deutschland baut die besten Verbrennungsmotoren, ist aber bei E-Mobilität nicht wirklich vorne dabei. Der Ausbau des Breitbandnetzes läuft schleppend, die Digitalisierung des Staates sowie des Gesundheitswesens kommen im europaweiten Vergleich fast steinzeitlich voran. In anderen Ländern sind digitale Rezepte oder Online-Sprechstunden längst Standard. Im April 2017 legte die damalige Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries die sogenannte Innova-
tionsagenda vor. Mehr als unzufrieden zeigte man sich darin mit der Innovationsquote. Der Anteil der mittelständischen Unternehmen, die in den vergangenen drei Jahren Innovationen hervorgebracht haben, ist von mehr als 
50 Prozent in den 90er-Jahren auf zuletzt 35 Prozent im Jahre 2015 gesunken. Das möchte die Regierung durch einen Milliardenplan wieder ändern. 750 Millionen Euro will das Kabinett über eine Steuerprämie für die Forschungsförderung im Mittelstand bereitstellen. Steuererleichterungen für Forschungsausgaben, Zuschüsse für Gründerfonds und Denkfabriken stehen ebenfalls auf der Agenda. Sogar über ein strategisches Innovationszentrum Deutschland wird nachgedacht – zumindest kann man das in der Innovationsagenda nachlesen. Der Plan: Derzeit liegen die Forschungsausgaben bei drei Prozent, bis 2025 sollen diese auf 3,5 Prozent aufgestockt werden. Bedeutet: Mehrausgaben von zehn Milliarden Euro. Auch der aktuelle Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier verkündete vor einigen Monaten, dass man den innovativen Mittelstand aktiv fördern muss. Hört sich alles wunderbar an, allerdings sehen viele Experten die Probleme gerade in der Politik, immer noch zögerlich reagiert diese auf die Chancen der Digitalisierung, vertraut lieber auf etablierte Strukturen. Christopher Peterka sieht darin ein geschichtliches Problem: „Wir in Deutschland haben zunächst mithilfe Dritter und dann zunehmend auf Kosten Dritter geschafft, ein ausgesprochen hohes Maß an Wohlstand aufzubauen. Aktuell nehmen wir an, dass dieser Status Ewigkeitscharakter haben könnte und vor allem Ergebnis von Kontinuität und Stabilität wäre. Das Gegenteil ist der Fall, wenn wir uns beispielsweise an die katastrophalen Zustände in unserem Land nach 1945 erinnern oder die ‚Mega-Disruption‘ der Wiedervereinigung vor Augen führen.“

Wenn es um die Nutzung digitaler Technologien in der Verwaltung geht, ist Deutschland nicht gerade optimal aufgestellt, dabei ist die Digitalisierung der wichtigste Bereich, um in Zukunft volkswirtschaftlich erfolgreich zu sein. Was der Staat aus welchen Gründen auch immer nicht auf die Reihe bekommt, sollte für Unternehmen an erster Stelle stehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, propagierte Immanuel Kant schon vor mehr als 200 Jahren. Und trifft es damit eigentlich sehr gut. Denn für Veränderung braucht man Mut, Mut um sein Geschäftsmodell an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Natürlich braucht es wirtschaftlichen Erfolg, aber es braucht auch eine gewisse Sinnhaftigkeit und ein Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Ökosystem Erde.

Habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.

„Ein Unternehmen, das also nicht auf Innovationen setzt, ist logischerweise ein Parasit, ein Dinosaurier und wird über kurz oder lang aussterben. Das kann weder im Sinne der Gemeinschaft, noch kann es für den Shareholder des Unternehmens sinnvoll sein“, schließt Peterka ab. Wolf Lotter erläutert das Innovationsdilemma der Deutschen unmissverständlich: „Die einzig feste Größe ist das alte Leistungsdenken der Industrie, das nicht nach Schläue, sondern nach Stärke Ausschau hält. Man stirbt in Schönheit, ein altes Problem. Die besten und perfektesten Kutschen entstanden übrigens in den Jahren, in denen sich das Auto endgültig durchsetzte.“ Und dass Schönheit vergänglich ist, ist nun 
wirklich jedem bekannt. ●


Text: Britt Wandhöfer