Bicycle Boom

Radfahren – vor allem mit elektrischer Unterstützung – wird immer beliebter. VIVID hat mit Düsseldorfer Velo-Spezialisten darüber gesprochen, welchen Beitrag Corona dazu leistet und wie die wichtigsten Bike-Trends aussehen.

Left: Name Stefan Kirmse Job Global Brand Activist Company WacomRight: Name Rainer Kunst Job Publisher of VIVID

Über 3,2 Millionen Fahrräder und E-Bikes wurden im ersten Halbjahr 2020 in Deutschland verkauft. Laut Zweirad-Industrie-Verband ZIV ist das eine Steigerung von fast 10 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2019. Mehr als ein Drittel dieser Räder hatte einen Elektromotor – das bedeutet ein Plus von fast 16 Prozent. Ein boomendes Geschäft also trotz Corona! Oder gerade wegen Corona?

„Das hat der Fahrradhandel hierzulande noch nie so erlebt, vor allem nicht in so kurzer Zeit“, kommentiert Marcel Hollenberg, Marketing & Retail Manager bei Giant Deutschland. Der weltgrößte Radhersteller aus Taiwan hat seine Deutschlandzentrale in Erkrath und führt einen 700 Quadratmeter großen Flagship Store in Düsseldorf-Friedrichstadt – die Giant Cycling World. „Viele Menschen haben dieses Jahr auf Urlaubsreisen in die Ferne verzichtet und ihr Geld in andere Dinge investiert. Zum Beispiel in ein schönes neues Fahrrad oder E-Bike“, so Hollenberg. Aber auch unabhängig von Corona erlebt die Branche in den letzten Jahren starken Rückenwind. Vor allem durch die dynamische Weiterentwicklung des E-Bikes vom „Rentner-Rad“ mit Hilfsmotor hin zum stylischen „Fahrrad 2.0“ mit Statussymbol-Charakter.

„Das hat der Fahrradhandel hierzulande noch nie so erlebt, vor allem nicht in so kurzer Zeit.“

Dabei musste auch der deutsche Fahrradhandel im März 2020 für mehrere Wochen seine Geschäfte schließen, was zunächst Umsatzeinbußen bedeutete. „In dieser Zeit haben wir kaum Räder an den Handel ausgeliefert. Viele unserer Händler haben improvisiert und ihren Kunden zum Beispiel via Facetime oder WhatsApp Räder im Laden vorgeführt. Der Kauf wurde dann online abgewickelt und die Lieferung nach Hause erfolgte kontaktlos“, erinnert sich Hollenberg. Das Giant-Team im Vertriebsinnendienst und Service arbeitet seitdem zum Teil im Homeoffice, was gut funktioniert.

Da Fahrradwerkstätten seitens der Politik als „systemrelevant“ eingestuft wurden, konnten viele Händler während des Lockdowns mit diesem Geschäft zumindest etwas Umsatz machen. So wie Anja Bergen, Store Managerin bei Awsum. Der Concept Store in Düsseldorf-Flingern öffnete seine Pforten Ende 2017 und verkauft neben Zweirädern Zubehör und Accessoires, die man selbst getestet und für gut befunden hat – getreu dem Slogan „Things we love“: zum Beispiel Fahrradhosen, Fahrradjacken, Schuhe usw. In kurzer Zeit hat Awsum sein Markenportfolio kontinuierlich ausgebaut und ist mittlerweile zum Beispiel deutschlandweit der zweitgrößte Händler für die Berliner Fahrrad-Kultmarke Schindelhauer sowie für den spanischen E-Bike-Hersteller Desiknio.

„Seit der Wiedereröffnung unseres Stores Ende April erleben wir eine regelrechte Welle. Viele Menschen, die zu uns kommen, haben sich in den letzten Monaten das erste Mal überhaupt so richtig mit dem Thema Fahrrad auseinandergesetzt“, sagt Anja Bergen. In weiser Voraussicht hat sie frühzeitig viele Räder und Zubehör gekauft und gelagert, sodass Awsum die erhöhte Nachfrage bisher gut abfedern konnte. Mittlerweile pendeln sich die Bestellungen langsam wieder ein. „Es gibt aber durchaus Dinge, die gar nicht oder nur tröpfchenweise geliefert werden gerade – Helme zum Beispiel“. Viele Radkomponenten, Gangschaltungen oder Bremsen etwa, kommen zudem aus Asien, sodass es zu Verzögerungen kommt. „Dadurch, dass wir noch relativ klein sind, müssen wir manchmal ganz schön jonglieren. Zum Beispiel in der Art, wie wir unser Geschäft und Service organisieren oder das Lager bestücken“, erklärt Anja Bergen.

Ein Einblick in awsum, einem Concept Store für urbane Mobilität in Düsseldorf-Flingern.

Ein Einblick in awsum, einem Concept Store für urbane Mobilität in Düsseldorf-Flingern.

Das Gravelbike boomt - hier ein Top Gravelbike - Revolt Advanced Pro der Firma Giant.

Das Gravelbike boomt - hier ein Top Gravelbike - Revolt Advanced Pro der Firma Giant.

Vor Lieferengpässen ist auch der weltgrößte Hersteller Giant derzeit nicht gefeit. Gegenüber anderen Anbietern hat man aber einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: „Wir sind eine der wenigen Fahrradmarken weltweit, die von eigenen Aluminiumwerken bis zu den Produktionsstätten, alles in einer Hand hält. Dadurch haben wir eine gewisse Unabhängigkeit. Bei Komponenten wie Bremsen oder Schaltungen sind aber auch wir auf Zulieferer angewiesen“, erklärt Marcel Hollenberg. Das, was die Kunden derzeit vermehrt nachfragen, entspricht den großen Trends der letzten zwei, drei Jahre. „E-Bikes werden immer stylischer und filigraner, was auch junge Menschen stärker anspricht. Diese Entwicklung wird so weitergehen, dass in einigen Jahren das normale Rad – wir sprechen von Bio-Bike – gegenüber dem E-Bike ein Nischendasein führen wird“, ist Hollenberg überzeugt. Viele Menschen hätten in Corona-Zeiten auch das Rennrad als Sportobjekt neu entdeckt. Zunehmender Beliebtheit erfreut sich außerdem das Gravel Bike – eine robustere Form des Rennrads, das auch für Gelände abseits der Straße geeignet ist.

Mit Blick in die nahe Zukunft ist David Eisenberger, Leiter Marketing & Kommunikation des Zweirad-Industrie-Verbandes, vorsichtig optimistisch: „Fahrradmobilität ist systemrelevant. Das haben die letzten Monate gezeigt. Darüber hinaus wissen wir, dass Fahrrad und E-Bike in diesem Jahr zusätzlich neue Zielgruppen angesprochen haben. Viele dieser neuen Nutzer werden die Zweiradmobilität auch nach der Krise nicht mehr missen wollen.“ •

Awsum führt unter anderem Räder der Kultmarke Schindelhauer, hier das Modell LUDWIG XIV in Mitternachtsblau.

Awsum führt unter anderem Räder der Kultmarke Schindelhauer, hier das Modell LUDWIG XIV in Mitternachtsblau.


Words:  Tom Corinth

Pictures: PR