City of Connectivity
Düsseldorf ist einer der führenden europäischen Standorte für die Digitalbranche. Diese wiederum ist ein wichtiger Treiber für alle anderen Wirtschaftszweige – und für eine wandlungsfähige sowie krisenfeste Gesellschaft.
IKT, ITK, ICT, IuK – die unterschiedlichen gängigen Kürzel zur Beschreibung dessen, um was es in dieser VIVID gehen soll, können Laien anfangs verwirren. Im Grunde kann man die Sache einfacher zusammenfassen: „Wir sprechen auch von der Digitalbranche“, sagt Dr. Florian Bayer, Referent Marktforschung beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien BITKOM. „Dazu gehören alle Dienstleistungen rund um die Digitalisierung, alles an Software und Hardware, alles rund um die Kommunikation von Daten und auch die Infrastruktur, die beispielsweise bei Unternehmen geschaffen werden muss.“ Das alles ergibt einen ziemlich großen Markt: Im Jahr 2021 wird er in Deutschland voraussichtlich ein Volumen von 178,2 Milliarden Euro erreichen, das sind vier Prozent mehr als 2020. Wenn man diesen komplexen Gesamtmarkt verstehen will, macht wiederum eine nähere Betrachtung der Teilmärkte Sinn, denn die haben ziemlich eigene Dynamiken. BITKOM unterscheidet dabei in Informationstechnologie (IT), Telekommunikation (TK) und Consumer Electronics (CE). Während für den mit 101,8 Mrd. Volumen größten Teilmarkt IT für dieses Jahr ein Wachstum von 6,2 Prozent erwartet wird, geht man bei TK (Volumen 67,5 Mrd. Euro) von 1,3 Prozent Wachstum aus und die CE (9 Mrd. Euro) werden vermutlich um vier Prozent schrumpfen. Warum diese Unterschiede?
„Die IKT-Branche ist ein ganz wichtiger Treiber für alle anderen Wirtschaftszweige und auch für den gesellschaftlichen Wandel allgemein.“
Die IT hat offensichtlich besonders stark vom Digitalisierungs-Beschleuniger Corona profitiert, viele Unternehmen haben hier nochmal auf- und umgerüstet. Für den Bereich Telekommunikation war wiederum das Vergleichsjahr 2020 relativ schwach: Auch wenn 2020 mehr Daten ausgetauscht wurden, ist diese höhere Datenmenge häufig von Flatrate-Tarifen abgedeckt worden – um nur ein Beispiel zu nennen. Zugleich investieren die Netzbetreiber weiter massiv in den Ausbau von Glasfaser und neuen 5G-Netzen. Der „Einbruch“ bei CE ist stark zu relativieren: Im sehr guten Vergleichsjahr – dem „Lockdown-Jahr 2020“ – wurden z. B. viele Produkte für das Home Entertainment oder Kopfhörer im Business-Kontext gekauft – dieses Jahr genießen Menschen mehr Freiheiten und geben ihr Geld vermehrt z.B. wieder für Urlaub und Freizeitgestaltung aus.
„Die IKT-Branche ist ein ganz wichtiger Treiber für alle anderen Wirtschaftszweige und auch für den gesellschaftlichen Wandel allgemein. Sie beschleunigt Innovationen und Wachstum in allen Lebensbereichen – sei es im Bereich Gesundheit, in der Mobilität oder auch beim Umwelt- und Klimaschutz. Das zeigt sich hier in Düsseldorf besonders deutlich“, sagt Theresa Winkels, die Amtsleiterin der städtischen Wirtschaftsförderung. Die Landeshauptstadt hat sich in den letzten Jahren zu einem der führenden IKT-Standorte innerhalb Europas entwickelt. Um es an einem Beispiel aus dem Bereich Gesundheit zu verdeutlichen: Im Universitätsklinikum Düsseldorf entsteht seit Mai 2021 der europaweit erste 5G-Medizincampus. Die superschnelle Datenübertragungstechnik kann die Krankenversorgung weiter verbessern und Leben retten – etwa bei der Übermittlung von Patienten-Vitalwerten in der Notfallmedizin oder bei der Unterstützung der Operateure per 3D-Simulation in der Tumorchirurgie. Ein anderes Vorzeige-Beispiel aus dem Bereich Mobilität: Seit 2017 wird in Düsseldorf auf einer rund 20 Kilometer langen Teststrecke durch die Stadt Autonomes bzw. hochautomatisiertes Fahren im Realbetrieb erforscht, um die Anforderungen an die nötige Infrastruktur zu verstehen. Und ganz aktuell: Im Juli 2021 startete das neue Games-Kompetenzzentrum „Fusion Campus“ seine Aktivitäten (siehe S. 29). „Uns geht es darum, die Akteure der Games-Industrie mit der klassischen Industrie zu verbinden. So streben wir gemeinsam mit dem 'Fusion Campus' Formate an, die Schnittstellen und Synergien schaffen und zur Entwicklung innovativer Ideen beitragen“, sagt Theresa Winkels. Als Kooperationspartner hat die Landeshauptstadt die Ansiedlung des Fusion Campus von Beginn an eng begleitet.
Über die letzten Jahre ist die Anzahl der IKT-Unternehmen in Düsseldorf kontinuierlich gewachsen: Waren es laut Bundesarbeitsagentur im Jahr 2017 noch etwa 1.600 Unternehmen mit rund 28.300 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, hatten im letzten Jahr circa 1.700 Firmen mit knapp 30.600 Beschäftigten ihren Schwerpunkt im Bereich IKT. Neben großen Mobilfunk-Betreibern wie Vodafone, Telefónica oder Deutsche Telekom (siehe S. 12) ist hier zum Beispiel Sipgate zuhause – der erste deutsche Anbieter von Voice over IP (Telefonieren über internetbasierte Netzwerke). Ansässige Player wie Ericsson, Huawei und ZTE rüsten unter anderem Netzwerke mit entsprechenden Kommunikationstechnologien und – services aus. Durch die weiteren Ansiedlungen von Vivo, Oppo und Xiaomi hat sich Düsseldorf mittlerweile zum wichtigsten chinesischen Technologie-Standort in Europa entwickelt. Und auch das Know-how durch indische IT-Dienstleister bereichert den Standort zunehmend (siehe S. 24). Zahlreiche Initiativen sorgen außerdem dafür, dass die IKT-Branche immer stärker vernetzt und digitale Innovationen in der Stadt und Region vorangetrieben werden – zum Beispiel die „Digitale Stadt Düsseldorf“ oder der Dighub Düsseldorf/Rheinland. Wissenschaft und Forschung laufen in puncto Digitalisierung ebenso auf Hochtouren (siehe Info-Kasten).
Durch Corona hat die Digitalbranche nochmal einen Schub bekommen – nicht nur in Düsseldorf. Viele Unternehmen konnten dank digitaler Techniken resilienter durch die Krise kommen – und die, die es nicht konnten, haben oft daraus gelernt. Mit Blick in die Zukunft sagt BITKOM-Experte Dr. Florian Bayer: „Die Aussichten für die IKT-Branche sind sehr positiv, es gibt aber auch viele Fragen seitens der Unternehmen. Etwa ob es aufgrund von Corona gegen Ende des Jahres zu Produktions- und Lieferengpässen kommt, weil etwa Halbleiter knapp werden. Oder wie sich die Arbeitsplatzorganisation der Beschäftigten – Stichwort Homeoffice – entwickeln wird. Und auch die Ergebnisse der Bundestagswahl werden natürlich einen Einfluss auf die Entwicklung der Märkte nehmen.“
Digitalisierung ist in den letzten 1,5 Jahren viel sichtbarer und spürbarer im Alltag fast jedes Menschen geworden – etwa durch die Corona-WarnApp oder regelmäßiges Video-Konferieren. Ein neues Mindset ist entstanden. Die rasante technische Entwicklung und Implementierung ist das eine, die Menschen müssen auf diesem Weg aber auch mitgenommen werden: Ganz wichtig ist auch die Umsetzung von Digitaler Souveränität und Digitaler Teilhabe. Menschen sollen selbstbestimmt, also sicher und souverän, mit digitalen Medien umgehen können, dafür ist Bildung ein wesentlicher Faktor. Digitale Teilhabe wiederum ist zunehmend auch die Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Es geht also darum, die Chancen der Digitalisierung so zu nutzen, dass jeder Mensch gleichermaßen daran teilhaben kann. In Düsseldorf, der „City of Connectivity“, stehen die Chancen bereits sehr gut. •
Das Zentrum für Digitalisierung und Digitalität ZDD an der Hochschule DÜsseldorf
Das ZDD ist ein interdisziplinäres Lehr- und Forschungsinstitut, das anwendungsorientierte Lösungen und neuartige Studienangebote im Themenfeld von Digitalisierung und Digitalität entwickelt. Die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und Megatrends der Digitalisierung besitzen bei ihrer Unter-schiedlichkeit ein wichtiges verbindendes Element: den Menschen. Im Vordergrund der Forschung steht demnach der Mensch und seine unmittelbare Lebenswelt, die durch technische Lösungen unterstützt wird. Für die Umsetzung werden zehn neue Professuren und ein besonderer Raum geschaffen: Bis 2023 wird auf dem Campus ein neues Gebäude entstehen, das die Voraussetzungen für kreatives und projektorientiertes Lernen und Arbeiten schafft.
zdd.hs-duesseldorf.de
Interview Tom Corrinth
Pictures Melanie Zanin, iStock, Bitkom, Paint the Town