Care Included

Die Themen Alter und Pflege betreffen uns alle, sind aber in der Arbeitswelt oft noch ein Tabu. Mit einem speziellen Programm will das Land NRW mehr Bewusstsein schaffen und Unternehmen und Beschäftigte unterstützen.

Mehr Zeit für die Familie: Das ist oft kein leeres Versprechen mehr, sondern in den Arbeitsbedingungen zahlreicher Unternehmen inzwischen fest verankert. Die viel beschworene „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ gehört zum Standard von Stellenausschreibungen und ist gerade im Wettbewerb um Fachkräfte zu einem wichtigen Kriterium geworden. Damit verbunden ist vor allem die Vorstellung, dass der Beruf ausreichend Zeit für die Kinder und für den Partner oder die Partnerin lässt. Was hingegen in unserer modernen, leistungsorientierten Arbeitswelt oft ausgeblendet wird: Auch ein Pflegefall kann die Familie betreffen und zu einer großen Herausforderung werden. Zum Beispiel wenn der eigene Vater, die Schwiegermutter oder ein anderes Familienmitglied durch Altersschwäche, einen Unfall oder eine schwere Erkrankung plötzlich bettlägerig wird und auf Hilfe angewiesen ist.

Für solche Fälle gibt es gesetzliche Reglungen, die Arbeitnehmerinnen und -nehmer entlasten sollen: So sieht das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf unter anderem vor, dass Angehörige bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernbleiben können, um die pflegerische Versorgung sicherzustellen oder die Pflege zu organisieren. Zudem können sie bis zu sechs Monate vollständig oder teilweise von der Arbeit freigestellt werden, wenn sie einen pflegebedürftigen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen. Eine teilweise Freistellung kann für die Dauer von 24 Monaten erfolgen. Das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG), das im Mai 2023 verabschiedet wurde, zielt darauf ab, auch die finanziellen Leistungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen zu verbessern. Hierzu werden in den nächsten Jahren die Leistungsbeträge in mehreren Schritten angehoben. Wer plötzlich vor der Aufgabe steht, sich um ein Familienmitglied zu kümmern, hat emotional ohnehin schon viel zu verarbeiten: Schmerz, Trauer, Hilflosigkeit und Verzweiflung gehen da bisweilen Hand in Hand. Sich dann noch mit den besagten Gesetzen, den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung und bürokratischen Angelegenheiten zu befassen, kann zermürbend sein. Angehörige, die die Pflege selbst übernehmen, stehen noch dazu vor ganz praktischen Fragen, zum Beispiel was die Körperpflege der oder des Angehörigen, die medizinische Versorgung oder den barrierefreien Umbau der Wohnung angeht. All das mit der eigenen Berufstätigkeit in Einklang bringen – wie soll das gehen? Mit dem Programm „Vereinbarkeit Beruf & Pflege“ will das Land NRW Unternehmen und deren Beschäftigte dabei unterstützen. Arbeitgeber, die die entsprechende Charta unterzeichnen, erhalten gezielte Informationen, wie sie ihr Unternehmen pflegefreundlich ausrichten können. Dazu zählt auch die Qualifizierung sogenannter Pflege- Guides. Sie stehen im jeweiligen Betrieb als Ansprechperson für pflegende Angehörige bereit, informieren über Hilfs- und Vereinbarkeitsangebote im Unternehmen und über gesetzliche Regelungen und vermitteln auch bei individuellen Lösungen zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten.


Wer sich um die Pflege eines Angehörigen kümmert, steht vor vielen praktischen Fragen und emotionalen Herausforderungen.

„In unserer alternden Gesellschaft wird das Thema Pflege noch immer tabuisiert, gerade im beruflichen Kontext. So melden sich viele Menschen, die einen Angehörigen pflegen, bei ihrem Arbeitgeber lieber krank statt das Thema offen anzusprechen. Zum Beispiel weil sie berufliche Nachteile befürchten“, sagt Solveig Giesecke, Pressesprecherin im Servicezentrum des Landesprogramms Vereinbarkeit Beruf & Pflege. „Das Programm soll unter anderem dazu beitragen, dass alle mit dem Thema offener umgehen.“ Neben der wünschenswerten Entlastung von Arbeitnehmerinnen und -nehmern profitieren auch die jeweiligen Unternehmen: Durch Lösungen zur Vereinbarkeit könne, so Giesecke, Arbeitszeit erhalten werden, die ansonsten verloren gehe, wenn wortlos eine Krankmeldung eingereicht wird. Noch dazu würden das Vertrauen und damit die Bindung zum Unternehmen gestärkt – und damit auch das Image als familienfreundlicher Arbeitgeber. Ein Pluspunkt auch bei der Rekrutierung und Fachkräftesicherung. Aktuell haben mehr als 400 Unternehmen aus NRW die Charta zur Vereinbarkeit von Beruf & Pflege NRW unterzeichnet. Mehr Infos Landesprogramm „Vereinbarkeit Beruf & Pflege“: BERUFUNDPFLEGE-NRW.DE/SO-FUNKTIONIERTS/


PRAKTISCHE HILFE

Ein Pflegefall trifft Angehörige oft unvorbereitet. Die Kaiserswerther Diakonie bietet mit dem Bereich Familiale Pflege im Florence-Nightingale-Krankenhaus Unterstützung, zum Beispiel durch persönliche Beratungsgespräche, Pflegetrainings und Gesprächskreise. Der kostenlose Initialpflegekurs richtet sich an pflegende Angehörige, die sich entschieden haben, ein Familienmitglied zu Hause zu pflegen. Die Teilnehmenden erlernen elementare Pflegetechniken und bekommen Tipps für den Alltag. Der nächste Kurs startet am 5. November 2024. Mehr Infos zu den Unterstützungsangeboten der Kaiserswerther Diakonie: FLORENCE-NIGHTINGALE-KRANKENHAUS.DE
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In unserer alternden Gesellschaft wird das Thema Pflege noch immer tabuisiert, gerade im beruflichen Kontext.

IN CONVERSATION WITH ...

… Dr. Max Skorning, seit Februar 2023 Leiter des Gesundheitsamts Düsseldorf.

Welchen Stellenwert hat der Bereich Pflege für die Arbeit des Gesundheitsamts?
Das Thema Pflege spielt eine riesige Rolle im gesamten Gesundheitswesen – ob im Krankenhaus, im Pflegeheim oder im eigenen Zuhause durch mobile Dienste und Angehörige. Angesichts der demografischen Entwicklung und des Pflegekräftemangels ist die Sicherstellung von Pflege ein wesentlicher Aspekt. Sie betrifft und beschäftigt uns auch im Gesundheitsamt täglich in zahlreichen Aufgaben.

Wie unterstützt das Gesundheitsamt Düsseldorf die Bürger und Bürgerinnen der Stadt dabei, „gesund zu altern“?
In vielen Lebensbereichen und -situationen, die besonders auch Menschen in höherem Alter betreffen, unterstützen, beraten, schützen und „retten“ wir. In unserem Verantwortungsbereich liegen beispielsweise das Selbsthilfe-Service-Büro, die Beratungsstelle für Menschen mit körperlicher Behinderung und chronischer Erkrankung sowie der Notarztdienst und die Ärztliche Leitung des Rettungsdienstes. Auch klassische Aufgaben im Gesundheitsschutz wie Themen der Hygiene, des Infektions- oder Hitzeschutzes, in denen ältere Menschen besonders gefährdet sind, spielen eine große Rolle. In der Sozialpsychiatrie sehen wir ebenfalls viele ältere Menschen, die Unterstützung bei Depression, Demenz, Sucht, Einsamkeit oder psychischer Traumatisierung erhalten. Eine unserer zentralen Aufgaben ist die Vernetzung und Koordination: Wir arbeiten bei diesen Herausforderungen innerhalb der Stadtverwaltung und mit zahlreichen Akteuren der Stadtgesellschaft partnerschaftlich zusammen und müssen dies weiter ausbauen.

Sie sind unter anderem Experte im Bereich E-Health. Inwiefern kann hierdurch die Pflegesituation in Zukunft verbessert werden? Und gibt es schon konkrete Pläne für die Landeshauptstadt?
Gut umgesetzte Digitalisierung wird immer zu Verbesserungen führen. Dabei sind neben einer Effizienzsteigerung auch völlig neue Versorgungskonzepte denkbar, zum Beispiel im Bereich Telemedizin. Wir arbeiten aktuell zusammen mit der Feuerwehr an der Umsetzung meines früheren „Pionierthemas“ Telenotarzt, was auch umfassend auf die Pflege ausgeweitet werden kann. Wichtig ist, dass Chancen der Digitalisierung auch darin bestehen, die Versorgung nicht unpersönlicher oder technischer zu machen, sondern Fachkräfte zu entlasten und damit mehr Raum für direkten menschlichen Kontakt und Zuwendung zu bieten. •


Words: Elena Winter
Pictures: PIKSEL, Kaiserswerther Diakonie / Frank Elschner