Corporate Health = Personal Health

Arbeitsschutz, Wiedereingliederungsmanagement, Gesundheitsförderung: Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) umfasst viele Bereiche – und wird in Zeiten des Fachkräftemangels und einer alternden Gesellschaft noch wichtiger. 



Dr. Elke Ahlers , Head of "Quality of Work" department Hans-Böckler-Foundation 

Die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) als eine Säule des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (siehe Info-Kasten) ist keine Pflicht für Arbeitgeber – aber sie wird immer häufiger angeboten: Laut einer Befragung des in Düsseldorf ansässigen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung unter rund 3.800 Betriebs- und Personalräten im Jahr 2021 boten 72,2 Prozent der befragten Betriebe BGF-Maßnahmen an – 2015 waren es nur rund 50 Prozent. Allerdings: Je größer der Betrieb, desto eher gibt es Angebote. So boten demnach 56,6 Prozent der Betriebe bis 50 Beschäftigte Maßnahmen an, bei Betrieben ab 500 Beschäftigten waren es stolze 87 Prozent. Dr. Elke Ahlers vom Referat Qualität der Arbeit beim WSI, die diese Studie durchgeführt hat, sagt: „Es gibt eine größere Sensibilität für das Thema Gesundheit auf den Chefetagen. Das hat sicher mit der Pandemie zu tun. Es hat aber auch damit zu tun, dass wir Fachkräftemangel haben und eine Investition in gesunde und zufriedene Mitarbeiter die Fehlzeiten senkt und die Mitarbeiterbindung stärkt.“ 

Besonders eng miteinander verbunden sind die Themen Gesundheit und Sicherheit beim Aufzug- und Fahrtreppen-Spezialist TK Elevator (früher: thyssenkrupp Elevator). Von den weltweit rund 50.000 Beschäftigten arbeiten etwa 4.500 in Deutschland und allein 450 davon im globalen Headquarter in Düsseldorf. „Unsere Servicetechniker:innen für Aufzüge und Fahrtreppen haben einen Job, der besondere Maßnahmen erfordert, damit die Arbeit sicher ausgeführt werden kann“, erklärt Hanna Nilsson, Head of Safety and Health Europe-Africa bei TK Elevator. „Deshalb sind wir uns der entscheidenden Bedeutung von Sicherheit, Gesundheitsschutz und präventivem Gesundheitsmanagement bei der Arbeit bewusst und investieren konsequent in diesen Bereich.“ So organisiert zum Beispiel die Abteilung „Occupational Safety & Health“ jährlich eine global gesteuerte Aktionswoche für alle zu einem bestimmten Gesundheits-Thema, mit verschiedenen Kommunikationsmaterialien und Videobotschaften vom Vorstand, wobei die lokalen Standorte ermutigt werden, ihre eigenen Initiativen einzubringen. Darüber hinaus werden an den größeren Standorten wie in Düsseldorf zum Beispiel Duschen, Umkleiden und Spinte für Fahrradfahrer:innen und Sportbegeisterte geboten, sowie Lademöglichkeiten für E-Bikes. 


Hanna Nilsson, Head of Safety and Health Europe-Africa TK Elevator 

Subventioniertes Fahrradleasing, subventionierte Sportmitgliedschaften und gesundes Essen in der hauseigenen Gastronomie gehören ebenfalls zu den BGF-Benefits. Sogar schon die Azubis werden in der ersten Kennenlern-Woche an einem Gesundheitstag an das Thema herangeführt. „Psychische Gesundheit ist ein wichtiger Schwerpunkt, der – auch durch die Pandemie – häufiger thematisiert wird, um das Stigma zu brechen und offene Gespräche zu fördern“, bestätigt Hanna Nilsson die Relevanz der Initiativen für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei TK Elevator. Dabei unterstützt zum Beispiel das Employee Assistance Program (EAP), eine Art 24/7-Nummer gegen Kummer, die Mitarbeitenden bei Bedarf Beratung und psychologische Unterstützung bietet. Gesundheitsfördernde Maßnahmen können auch ein Tool sein, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen. Mit einer „Null-Überstunden- Politik“ hat Sipgate ein solches Alleinstellungsmerkmal etabliert. Denn beim Internet-Telefonie-Anbieter aus Düsseldorf werden Überstunden nicht gern gesehen. „Wir sind überzeugt davon, dass gerade bei Wissensarbeit 40 Stunden das Maximum sind, das man in einer Woche leisten kann. Deswegen ist es sinnvoll, Überstunden überhaupt erst gar nicht entstehen zu lassen“, sagt Jacqueline Rahemipour, People & Culture Expert bei Sipgate. Wenn doch Mehrarbeit anfällt, wird gemeinsam mit der „betroffenen Person“ nach den Ursachen und nach Lösungen dafür gesucht. Ein Grund könnte zum Beispiel sein, dass sie eine „Wissensinsel“ ist, also nur diese Person das spezielle Wissen zu einer Sache hat. Und auch das versucht man bei Sipgate zu vermeiden: „Bei uns gibt es in Abwesenheit keine 1-zu-1-Vertretung, sondern das Team als Gesamtheit soll die Aufgaben übernehmen können – und das geht nur, wenn alle denselben Wissensstand haben“, erklärt Jacqueline Rahemipour. All das hat positiven Einfluss vor allem auf die mentale Gesundheit der Beschäftigten. „Auf diese Weise versuchen wir Überlastung und übertriebene Leistungsorientierung zu vermeiden. Stattdessen wollen wir sicherstellen, dass die Erwartungen und Ziele unserer Beschäftigten realistisch und damit erreichbar sind.“


BETRIEBLICHES GESUNDHEITS-MANAGEMENT (BGM) BESTEHT AUS DREI SÄULEN: 

Arbeitsschutz 
Bei diesem „Pflichtteil“ für Arbeitgeber und Arbeitnehmende geht es um die Vermeidung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren. Ein wichtiges Instrument dafür sind die sogenannten Gefährdungsbeurteilungen, bei denen systematisch körperliche und psychische Risikofaktoren untersucht werden. 

Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) 
Es unterstützt Betriebe dabei, Beschäftigte nach längerer Krankheit wieder in den Arbeitsprozess einzubinden. Arbeitgeber sind seit 2004 gesetzlich zum BEM verpflichtet, die Teilnahme für Arbeitnehmende ist freiwillig. 

Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) 
Diese Säule, die nicht verpflichtend für Arbeitgeber und Arbeitnehmende ist, umfasst konkrete Maßnahmen zur Gesundheitsstärkung – von Bewegungsprogrammen über gesunde Ernährung und Suchtprävention bis zur Stressbewältigung. BGF-Maßnahmen werden von den gesetzlichen Krankenkassen gefördert. 


Impressionen vom "Selfcare Open Friday" bei Sipgate. 


Jacqueline Rahemipour, People & Culture Expert Sipgate 

Alle zwei Wochen wird auf dem Unternehmensgelände in der Gladbacher Straße ein ganztägiger „Open Friday“ durchgeführt. Bei dem themenoffenen Barcamp-Format stand auch bereits die körperliche und mentale Gesundheit auf der Agenda. Dazu wurden Speaker:innen eingeladen, Workshops durchgeführt und Mitmach-Stationen aufgebaut, um zum Beispiel seine Rückengesundheit oder Tagesmüdigkeit zu messen. „Dadurch wollten wir unsere Mitarbeitenden für ihre eigenen Bedürfnisse sensibilisieren, um gesund am Arbeitsplatz zu sein. Das kam super an: Daraus entstanden sind Selfcare Communities, bei denen sich Kolleg:innen regelmäßig während der Arbeitszeit treffen, um Gesundheitsthemen für Sipgate voranzutreiben.“ Darüber hinaus gibt es viele weitere präventive Maßnahmen: z. B. ein eigenes Fitnessstudio auf dem Campus bzw. geförderte Fitnessmitgliedschaften, Coaching und Supervision für Mitarbeitende mit mental herausfordernden Aufgaben oder den „Miniclub“ mit Tagesmutter zur Unterstützung bei der Kinderbetreuung. 

Während sich die Betriebliche Gesundheitsförderung in den Unternehmen insgesamt erfreulich entwickelt, gibt es noch großen Nachholbedarf in einem anderen Bereich: „Insbesondere die psychische Gefährdungsbeurteilung als Teil des Arbeitsschutzes ist in meinen Augen ein sehr wichtiges Tool, das noch zu wenig konsequent von den Betrieben genutzt wird. Denn darüber könnten Führungskräfte und Beschäftigte angstfrei ins Gespräch kommen und herausfinden: Was sind die belastenden Faktoren am Arbeitsplatz – und damit die wirklichen Ursachen für hohe Krankheits- und Fehlzeiten, hohe Fluktuation oder schlechtes Betriebsklima aufspüren. Ich hoffe, dass es da ein Umdenken gibt“, sagt Dr. Elke Ahlers. Denn letztlich kann ein gutes Betriebliches Gesundheitsmanagement nur funktionieren, wenn es praktisch auf allen drei Ebenen – Arbeitssicherheit, Wiedereingliederung und BGF – umgesetzt wird. „Betriebliches Gesundheitsmanagement hat ganz viel mit guter Unternehmenskultur zu tun, also auch mit einer wertschätzenden Führungskultur und verlässlichen Absprachen. Wichtig ist ein vertrauensvolles Miteinander und damit auch ein ganzheitliches Verständnis für die Bedürfnisse der Beschäftigten“, so Ahlers. • 


LANDESHAUPTSTADT DÜSSELDORF ALS "GESUNDE ARBEITGEBERIN 2024/2025" AUSGEZEICHNET 

Dieses Siegel der Corporate Health Alliance wird durch die EUPD Research Sustainable Management GmbH zertifiziert und vergeben. Es zeichnet Arbeitgeberinnen aus, die nachweislich gesunde Arbeitsbedingungen für Beschäftigte erfüllen und dafür fest implementierte, gesundheitsförderliche Strukturen und Prozesse vorweisen können. Im Rahmen eines Audits musste dabei nachgewiesen werden, dass unter anderem der Arbeits- und Gesundheitsschutz, die betriebliche Gesundheitsförderung und das betriebliche Eingliederungsmanagement kontinuierlich umgesetzt und weiterentwickelt werden. Die Landeshauptstadt Düsseldorf setzt mit der Auszeichnung ein Zeichen, dass die Zufriedenheit der Mitarbeitenden ein elementarer Teil der Unternehmenskultur ist. 


Words: Tom Corrinth
Pictures: Unsplash, Hans-Böckler-Stiftung , TK Elevator GmbH, Udo Fritsch