Diving into other Worlds
Die Wim Wenders Stiftung setzt sich auf vielfältige Weise für die Zukunft des Films und die Förderung junger Filmschaffender ein. Ein Gespräch mit Geschäftsführerin Hella Wenders und Marion Döring vom Vorstand der Stiftung.
Wir leben in einer Zeit, in der die Beliebtheit kurzer Erzählformen zuzunehmen scheint. Welchen Stellenwert hat da noch der klassische Spiel- oder Dokumentarfilm als Medium? Und welchen sollte er Ihrer Ansicht nach haben?
Marion Döring: Mit dem Aufkommen der digitalen Medien und der ständigen Verfügbarkeit bewegter Bildformate haben sich die Sehgewohnheiten der Menschen verändert. Das schließt auch die Inhalte mit ein: Sicher gibt es wunderbare, kreative und intelligente Kurzformate und Serien. Aber es ist auch logisch, dass sich die Aufmerksamkeitsspanne deutlich verringert, wenn man nicht – wie im Kino – die Welt draußen vor der Tür lässt und sich ganz dem Geschehen auf der Leinwand hingibt. Die Kinobesuche sind in den vergangenen Jahren – beschleunigt durch die Auswirkungen der Pandemie – deutlich zurückgegangen. Wenn aber die Kinos sterben, ist auch der klassische Spiel- oder Dokumentarfilm in Gefahr. Er ist ein wertvoller Bestandteil unserer Kunst- und Kulturgeschichte. Das Kino kann nicht nur unterhaltsame Stunden bieten – es ist auch der ideale Ort, um in andere Gesellschaften einzutauchen und etwas über sie zu lernen. Und das Wissen, das wir uns im Kino auf spielerische Art und Weise aneignen, hilft uns, andere Lebenswelten besser zu verstehen. Deswegen müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um die Menschen wieder in die Kinos zurückzuholen, gerade die jüngeren Generationen.
Die Wim Wenders Stiftung setzt sich unter anderem für die Vermittlung von Filmwissen an das junge Publikum ein. Auf welche Weise tut sie das?
Hella Wenders: Wir haben im Schuljahr 2022/23 mit Unterstützung der Art Mentor Foundation Luzern, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Paul und Mia Herzog Stiftung Düsseldorf unser erstes, eigenes großes Filmbildungsprojekt gestartet: „Eine europäische Schule des Sehens“. Dabei geht es darum, dass junge Menschen ihren Blick schärfen und eine eigene Sensibilität des Hin-Sehens entwickeln. Wir haben Schülerinnen und Schüler von fünf Berliner Schulen und des Wim-Wenders-Gymnasiums in Düsseldorf eingeladen, sich mit uns auf eine cineastische Reise zu begeben und sich dem Medium Film mit dem Blick eines Filmemachers zu nähern. Hierfür haben die Teilnehmenden sechs Filme im Kino angeschaut – ältere und neuere europäische Filme, die von Wim Wenders ausgewählt, vorgestellt und mit Filmpädagoginnen und -pädagogen in Workshops vertieft wurden. Die Schülerinnen und Schüler sollten dabei auch ihren persönlichen Blick in eigenen filmischen Arbeiten ausprobieren.
Inwiefern ist für diese Wissensvermittlung das filmische Werk von Wim Wenders von besonderer Bedeutung?
Marion Döring: Wim Wenders ist ein Reisender und ein Suchender. In seinen Filmen können wir Orte, Menschen und ihre Geschichten entdecken und sie Teil unserer eigenen Wirklichkeit werden lassen. Das geht aber nur, wenn seine Filme auch in Zukunft den Weg zum Publikum finden.
Das kulturelle Filmerbe, zu dem inzwischen auch ein großer Teil des Werkes von Wim Wenders gehört, zukunftsfähig zu machen, ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Deshalb haben Wim Wenders und seine Frau Donata Wenders vor zehn Jahren mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Stadt Düsseldorf die Wim Wenders Stiftung gegründet. Zum Stiftungsgut gehören über 50 Filme von Wim Wenders, die damit jedem Privatinteresse entzogen wurden. Mit diesem Modell der Stiftung stehen wir in Deutschland ziemlich einzigartig da.
Die Nachwuchsförderung liegt Ihnen ebenfalls am Herzen. Mit dem Wim Wenders Stipendium der Film- und Medienstiftung NRW unterstützen Sie junge Filmschaffende auf ihrem Weg. Wie fördern Sie sie konkret in ihrem schöpferischen Tun?
Hella Wenders: Junge Filmschaffende, die mit neuen Mitteln erzählen wollen, bekommen durch das Stipendium die Möglichkeit, ihre filmischen Ideen unabhängig weiterzuentwickeln. Über die Vergabe des Stipendiums entscheidet eine Jury, bestehend aus dem Vorsitzenden Wim Wenders, der Filmstiftungs-Geschäftsführerin Petra Müller und Mirko Derpmann von der Werbeagentur Scholz & Friends. Nach einer Vorauswahl werden die Kandidatinnen und Kandidaten eingeladen, ihre Projekte vor der Jury zu präsentieren. Neben inhaltlichen Kriterien geht es dabei vor allem auch um die formale und visuelle Gestaltung.
Wie ist es ansonsten um die Förderung junger Filmschaffender bestellt?
Marion Döring: In Deutschland stehen wir mit der Förderung junger Filmschaffender eigentlich ganz gut da. Es gibt viele Fördermöglichkeiten auf Länderebene, auf Bundesebene und auch in Europa, allerdings ist hier im Laufe der Jahre der wirtschaftliche Aspekt immer mehr in den Vordergrund getreten. Die Frage wäre also eher: Wie können wir diejenigen jungen Filmschaffenden unterstützen, die sich weniger dem Mainstream als vielmehr der Filmkunst verschreiben wollen? Das Wim Wenders Stipendium leistet dazu sicherlich einen wertvollen Beitrag, aber wenn wir den Film wirklich als Kunstform verstehen wollen, muss es mehr Unterstützungsmöglichkeiten geben.
Welche Rolle spielt Düsseldorf – der Geburtsort von Wim Wenders – für die Filmlandschaft NRWs und darüber hinaus?
Hella Wenders: Mit der Film- und Medienstiftung NRW ist in Düsseldorf eine der größten und renommiertesten Filmförder-institutionen Europas zu Hause. Für die Wim Wenders Stiftung bietet Düsseldorf viele Vernetzungsmöglichkeiten, nicht nur mit dem Filmmuseum Düsseldorf, dem Museum Stiftung Kunstpalast und dem Wim Wenders Gymnasium, sondern auch mit anderen künstlerischen Bereichen. Ganz abgesehen davon, dass die Stif-tung ihren Sitz an dem Ort hat, an dem Wim Wenders geboren wurde und dem er sich auch weiterhin eng verbunden fühlt. •
Words: Elena Winter
Pictures: PR, Daniela Müller-Brunke, Claire Brunel