Financing the transformation

Düsseldorf ist der führende Finance-Standort in NRW. In der aktuellen Kriegssituation in der Ukraine steht die Kreditwirtschaft ihren Kunden besonders eng zur Seite. Langfristig will sie den Weg in eine digitalere und nachhaltigere Welt ebnen.

Dr. Andre Carls, Deputy Chairman of the North Rhine-Westphalia Banking Association and Member of the Management Board Private and Corporate Clients West at Commerzbank

Vor allem Unternehmen mit Geschäft und Vorort-Präsenz in der Ukraine und in Russland treiben gerade (Stand: 15. März 2022, Anmerkung der Redaktion) viele Sorgen um: Wie können Mitarbeitende möglichst schnell und geschützt aus dem Kriegsgebiet geholt werden? Was bedeutet es, wenn russische Banken vom Kommunikationsnetzwerk SWIFT abgeschaltet werden und zum Beispiel Rechnungen und Löhne nicht mehr gezahlt werden können? Welche Optionen gibt es dann? Und welche Hilfsprogramme können Firmen in Anspruch nehmen, um wirtschaftliche Schäden abzufedern? – Das sind nur einige wichtige Fragen. Aber auch Betriebe ohne direktes Engagement in der Region sind verunsichert, welche Folgen auf sie zukommen, wenn zum Beispiel Rohstoffe wie Gas, Öl, Kohle oder auch Nahrungsmittel – die Ukraine gehört z. B. zu den weltgrößten Weizen-Exporteuren – knapp werden. „Da sich die Ereignisse gerade täglich ändern und das Vorgehen Russlands kaum einzuschätzen ist, lautet unser wichtigster Rat an die Firmen: Setzen Sie sich mit den vertrauten Ansprechpartnern Ihrer Hausbank in Verbindung und lassen Sie sich intensiv beraten, wie Sie individuell mit der Situation am besten umgehen und ggf. Risiken reduzieren können!“, sagt Dr. Andre Carls, stellvertretender Vorsitzender des Bankenverbands NRW und Mitglied der Geschäftsleitung Privat- und Unternehmerkunden West bei der Commerzbank. Der Bankenverband NRW ist die Branchenvertretung der privaten Banken. Sie bilden zusammen mit den genossenschaftlichen Banken und den öffentlich-rechtlichen Sparkassen die drei Säulen der Kreditwirtschaft. „Die deutsche Kreditwirtschaft verurteilt in aller Schärfe den Angriff Russlands auf die Ukraine. Wir stehen geschlossen an der Seite der Bundesregierung und der Europäischen Union, wenn es um Sanktionen geht. Völkerrechtswidrige Aggressionen und der Überfall eines Landes dürfen im 21. Jahrhundert nicht folgenlos bleiben. Menschen haben ein Recht darauf, in Freiheit und Demokratie zu leben. Unsere Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine“, ergänzt Dr. Carls.

Wie wichtig gerade jetzt geschlossenes Auftreten sowie koordiniertes Handeln sind und welche entscheidende Rolle die Kreditwirtschaft dabei spielt, zeigt sich besonders deutlich in NRW. Denn hier leben nicht nur rund 18 Millionen Menschen, darunter etwa 5.000 Einkommensmillionäre, hier sitzen auch 755.000 Unternehmen, etwa 20.000 ausländische Firmen – und ein Viertel der deutschen Weltmarktführer. Sehr viele (potenzielle) Kunden also für die Finanzwirtschaft. 

Allein in Düsseldorf gibt es über 250 Finanzinstitutionen mit rund 20.000 Beschäftigten, zahlreiche Branchenverbände sorgen für Vernetzung untereinander, wissenschaftliche Einrichtungen bilden entsprechende Talente aus und die Börse Düsseldorf fungiert als überregionaler Handelsplatz. Wie international bedeutend Düsseldorf ist, zeigt sich auch an den vielen ausländischen Repräsentanzen, die Ansprechpartner vor Ort sein wollen (siehe Info-Kasten).

Zu den etablierten Großbanken, Regionalbanken, Privatbankiers, Private Equity- und Venture Capital-Gesellschaften sowie Leasing- und Factoringunternehmen gesellt sich zudem eine wachsende Anzahl an FinTechs, die die Digitalisierung der Branche vorantreiben (S. 20). Der Zuwachs an technologischen Innovatoren dokumentiert auch den Wandel, den der Finance-Standort Düsseldorf in den letzten Jahren erfahren hat. Diesen Wandel markiert auch ein anderer großer Meilenstein im Jahr 2012: Die West LB, einst drittgrößte Bank Deutschlands, wurde damals aufgespalten. Neu aufgestellt für den Wettbewerb hat sich ebenso die Börse Düsseldorf: Durch die übergreifende Kooperation mit den Börsen Hamburg und Hannover im Jahr 2017 hat sie ihre Marktposition ausgebaut (siehe Interview-Kasten).

„Gerade für NRW liegt in dieser Transformation eine riesige Chance für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit.“

Auch wenn das aktuelle weltpolitische Geschehen rund um den Ukrainekrieg viele Ressourcen dieses starken Netzwerks auf noch nicht absehbare Zeit in Anspruch nehmen wird, darf dabei das wichtigste Zukunftsthema nicht aus dem Blick geraten: die Finanzierung der gesellschaftlichen Transformation. Denn der Aufbruch in eine noch nachhaltigere und digitalere Welt kostet die NRW-Betriebe zusätzlich etwa 80 Milliarden Euro jährlich, wie das Institut der Deutschen Wirtschaft errechnet hat. „Allein mit klassischem Kreditgeschäft und klassischen Förderprogrammen wird dieser riesige Investitionsbedarf nicht zu stemmen sein. Eigenkapitalstärkende Maßnahmen über den Kapitalmarkt, aber auch andere Finanzierungsformen wie zum Beispiel Private Equity oder Verbriefungen werden dabei wichtige Instrumente sein“, erklärt Dr. Carls.

Und weil man mit vereinten Kräften bekanntlich mehr bewegen kann, hat sich in den letzten Monaten unter Federführung des NRW-Wirtschaftsministeriums eine neue Plattform entwickelt: Fin.Connect.NRW. Gemeinsam wollen Player aus Politik, Kredit- und Versicherungswirtschaft sowie Wissenschaft dort herausfinden: Wie können die NRW-Betriebe mit mehr Geld und Expertise bei der Transformation unterstützt werden? Eine solche Zusammenarbeit ist bundesweit bislang einzigartig – was die Entschlossenheit der Beteiligten unterstreicht. „Gerade für NRW liegt in dieser Transformation eine riesige Chance für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Es ist gut, dass wir uns hier so frühzeitig engagieren“, sagt Dr. Carls. 

Auch die Banken selbst sind bestrebt, sich noch digitaler und nachhaltiger aufzustellen. Der Markt für nachhaltige Finanzprodukte etwa wuchs zuletzt zweistellig. Derzeit entwickelt die EZB zusammen mit der europäischen Kreditwirtschaft zum Beispiel den digitalen Euro, der in ein paar Jahren eingeführt werden soll. Denn der Wunsch nach digitalem Geld für schnelleren und effizienteren Zahlungsverkehr steigt, wie sich auch an der wachsenden Beliebtheit von Kryptowährungen zeigt. Im Fall des digitalen Euro wäre dann auch eine entsprechende Regulierung dahinter gesichert. „Banken müssen in Zukunft digital UND persönlich sein“, prognostiziert Dr. Carls. FinTechs und Start-ups werden dafür noch stärker mit etablierten Banken zusammenarbeiten. Innovative digitale Lösungen, persönliche Beratung vor Ort und fachliche Expertise gehen so Hand in Hand.

Der Blick in die Zukunft fällt angesichts der aktuellen Situation in der Ukraine besonders schwer. Auf Einiges kann man aber bauen: „Düsseldorfs Wirtschaft ist robust, wir haben sehr gute Standortbedingungen und ein gutes Finance-Netzwerk vor Ort. Gleichzeitig zeichnet uns ein starkes internationales Umfeld, kulturelle Vielfalt und Weltoffenheit aus. Als Kreditwirtschaft stehen wir den Unternehmen jetzt noch enger zur Seite und wir wollen der Transformationsbegleiter für eine lebenswerte Zukunft sein.“ •


Düsseldorf as a financial location

• Around 250 financial institutions second highest density of financial institutions in Germany behind Frankfurt

• Home to important institutions such as the North Rhine-Westphalia Banking Association, the Rhine-
land Savings Banks and Giro Association, the Cooperative Association and the North Rhine-Westphalia headquarters of the Deutsche Bundesbank

• Good education in finance: Heinrich Heine University, Düsseldorf University of Applied Sciences,
FOM, EBC, Fresenius University of Applied Sciences, SRH Fernhochschule, WHU

• Headquarters of numerous foreign banks: e.g. MUFG Bank (Japan), Bank of China, Banque Europèenne
Credit Mutuel (France), Bank Julius Bär (Switzerland) 

• Headquarters of, among others, NRW.Bank, Deutsche Apotheker- und Ärztebank, HSBC
Germany, IKB, Targobank, Sparda-Bank West and Stadtsparkasse Düsseldorf

• Growing number of successful FinTechs, e.g. A.IX Capital, auxmoney, Compeon, Vat4u


Words Tom Corrinth
Illustration iStock,
Picture Commerzbank AG / Alexandra Lechner