"There is no single model for success" - Kunst meets Christoph Pietsch

Als Chief Growth Officer bei der Marketing-Agentur Publicis Groupe in der DACH-Region und Gründer der Plattform Creative Hive ist Christoph Pietsch bestens vernetzt in der Düsseldorfer Kreativ-Szene. Mit VIVID-Herausgeber Rainer Kunst sprach er unter anderem über seinen Lieblingsverein KFC Uerdingen, spektakuläre Neukundengeschäftsaktionen, die Bedeutung einer gut funktionierenden Stadtgesellschaft und seine tiefe Verwurzelung mit Düsseldorf.



Christoph Pietsch

Christoph, wir treffen uns im Grotenburg Stadion in Krefeld, weil Du hier geboren bist und weil der KFC Uerdingen e.V. Dein Verein ist. Seine erfolgreichste Zeit war in den 1980ern mit dem Gewinn des DFB Pokals und dem legendären 7:3 gegen Dynamo Dresden („Wunder von der Grotenburg“). Mittlerweile spielt Uerdingen in der 5. Liga. Warum bist Du Fan dieses Vereins, wenn Du die glorreichen Zeiten aufgrund Deines Alters gar nicht mitbekommen hast? 
Das stimmt, ich habe nichts von der goldenen Zeit mitbekommen. Aber es gibt ja diesen berühmten Moment des ersten Stadionbesuchs. Der Papa geht mit Dir da hin und Du hast keine Ahnung, worauf Du Dich einlässt. Du bekommst eine Bratwurst, eine große Cola und einen Schal. Alles um Dich herum ist laut, Du siehst das Flutlicht und viele fußballbegeisterte Menschen. Und da war ich „angezündet.“ Ich habe auch in der Jugendmannschaft des KFC, damals noch Bayer Uerdingen, gespielt. Zu der Zeit wurde auch noch echt viel für die Identifikation getan. In der Grundschulzeit war es immer etwas ganz Besonderes den Trainingsanzug mit dem großen Logo auf der Brust zu tragen. Damit warst du einer von den coolen Jungs. Und so bin ich in „blau-rot“ groß geworden.

Warum ist das heute noch so? Was bindet Dich noch an den Verein?
I
ch habe während der Schule ein Betriebspraktikum im Verein gemacht. In der Geschäftsstelle des Clubs und dadurch viele Leute im Umfeld kennengelernt. So bin ich immer mehr in das Vereinsleben reingerutscht. Und als der KFC das erste Mal in die Insolvenz geriet haben wir bei sämtlichen Aktionen mitgeholfen. Wir wollten den Verein retten. Mit dem Verkauf von „Retter-Trikots“ oder diversen Spendenaktionen. In der Geschäftsstelle und im Stadion-Catering habe ich ausgeholfen. Für viele Jahre war das also mein absoluter Lebensmittelpunkt. Nach Ausbildungsstart haben sich erst die Prioritäten und dann auch der Wohnort verschoben. Seitdem bin ich viel seltener im Stadion. Der Sache bin ich aber treu geblieben, mein Herz schlägt immer noch für den KFC.

Ich möchte nun zu Dir als Person kommen. 2006 hast Du Deine Ausbildung in der Werbung gestartet und bist schon sehr früh öffentlich in Erscheinung getreten mit spektakulären Neugeschäftsaktionen: Undercover- Praktikant beim Kunden während einer Pitchphase, Fallschirmsprung für Vodafone oder persönliche Briefe als Akquisetool. Erzähl mal, warum machst Du diese Aktionen und was bringen sie? 
Damit haben wir versucht, die Verantwortlichen auf Kundenseite nicht nur rational, sondern vor allem emotional zu überzeugen. Denn ob man es glaubt oder nicht – jeder Kunde ist auch ein Mensch. Dafür haben wir zunächst versucht so viel wie möglich über die Entscheiderinnen zu lernen, über ihre Werdegänge, was sie antreibt und vor allem was ihnen hilft. Das große Ziel: Aufmerksamkeit, aber in „clever“, um nach den Aktionen eine Chance in einem persönlichen Gespräch zu bekommen. Die persönlichen Briefe waren immer ein wichtiger Baustein. Vor allem um mein persönliches, damals junges Alter hinter vielleicht klugen Buchstaben zu verstecken. Dazu haben wir in den Leit- und Fachmedien geschaut, mit welchen Themen und Herausforderungen der potenzielle Neukunde gerade zu tun hat und das haben wir dann in einem persönlichen Brief adressiert. Das hat in Kombination mit den weiteren Sales-Maßnahmen auch echt gut geklappt. Wir wurden in mehr Pitches eingeladen als wir bedienen konnten. 

Du hast bei Grey angefangen, warst anschließend bei DDB. Jetzt bist Du bei der Publicis Gruppe. Und in allen drei Fällen schaffst Du es, diesen großen Network-Agenturen sehr viel Neugeschäft zuzuschustern und die Marken neu zu positionieren. Ist es eigentlich egal, bei welcher Agentur Du arbeitest? Was ist Dein Erfolgsrezept? 
Ich glaube, dass man in Agenturen dann erfolgreich arbeiten kann, wenn das Umfeld stimmt – also vor allem die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet. Wenn man in die Fähigkeiten dieser Menschen vertraut, darin dass sie die Besten in ihrem jeweiligen Bereich sind, dann entsteht Superkraft. Und natürlich gehört auch ein bisschen Glück dazu. Ich glaube überhaupt nicht an Personenkult, aber ganz fest an die große Bedeutung des Teams und der Köpfe, die sich engagieren. Klingt wie ein einfaches Rezept, ist es manchmal auch. 

Wie sieht ein Agenturmodell aus, das auch in Zukunft erfolgreich sein kann?
Die gute Nachricht vorab: Es gibt nicht das eine Agenturmodell bzw. die eine Agentur. Marken und Unternehmen sind so individuell wie ihre Marketingorganisationen. Es geht viel mehr um die tailormade Fähigkeit eines Partners. Wie funktioniert das Geschäftsmodell? Welche Rolle spielt das Marketing im Unternehmen? Ist die Unternehmung zentralisiert oder dezentral organisiert? Welche Aufgaben sollen von einem Marketing-Partner übernommen werden? Und wie lässt sich das bei höchst möglicher Arbeitsqualität so effizient wie möglich aufstellen? Und wenn wir infrastrukturell, prozessual und inhaltlich unser Modell gefunden haben, dann müssen die Lösungen auch kaufmännisch zum Unternehmen passen. Also hochgradig individuell – die Antwort kann dann auch holistisch sein und so unserem Arbeitsanspruch “Power of one” entsprechen – eine Agentur, die sämtliche Themen wie Kreativität, Technologieeinsatz, Beratungskompetenz und Media zusammenbringt. Muss es aber nicht. Wir stellen genauso häufig fest, dass es Kunden gibt, die jemanden brauchen, der mit guten Ideen einfach richtig gute Werbung macht. Es gibt nicht das eine Erfolgsmodell.

Du hast mit Creative Hive eine eigene, unabhängige Company ins Leben gerufen, die ein Netzwerk der Kreativen, der Innovatoren, der Unternehmer abbildet. Du willst mit dieser Community das Davos der Kreativität schaffen. Es gibt Dinner, Networkings-Events mit mehreren Speakern oder auch Podiumsdiskussionen. Warum braucht es Formate wie dieses?
Ich habe mich lange im Marketingclub engagiert und dort ist die Idee für dieses Format mal entstanden. Denn ich finde es wahnsining bereichernd, mit Menschen außerhalb meiner Blase zu sprechen. Richtig spannend wird es doch erst, wenn man nicht nur mit dem Marketingverantwortlichen arbeitet, sondern auch mit anderen Menschen, die auf andere Weise Kreative sind – zum Beispiel Unternehmer, Leute aus dem Kulturbetrieb, Produktentwickler oder Wissenschaftler. Also echte Kollaboration. Weil der Marketingclub eine andere Rolle übernimmt, haben wir einen eigenen Raum erschaffen – Creative Hive. Mittlerweile läuft das sehr gut, ins sechs Jahren sind wir auf knapp 3.500 Community Member gewachsen. Uns eint der feste Glaube: Nur Kreative können die Welt retten. Und natürlich wünschen wir uns, dass dieses Format in Zukunft noch größer wird. Denn in Creative Hive steckt durch die Bündelung von Kräften ein enormes Potenzial, das auch für unsere Stadtgesellschaft wertvoll sein kann.

Du kommst ziemlich viel herum und könntest vermutlich auch an anderen Orten arbeiten. Warum Düsseldorf? 
Weil ich mich hier einfach wohl fühle. Das ist mein zweites Zuhause. Hier lebt meine Familie, hier leben viele Freunde, hier ist der KFC in der Nähe und hier habe ich beruflich Laufen gelernt. Die Stadt bietet mir alles, mir mangelt es an nichts. Es gibt ein großes Kulturangebot, eine abwechslungsreiche Gastronomie-landschaft, mit dem Rhein ein Naherholungsgebiet vor der Haustür. Gleichzeitig habe ich auch alternativere Szenen, wenn ich das mal brauche, und es gibt ein riesiges Sportangebot. Und natürlich mag ich den Schlag Menschen mit seiner rheinländischen Kultur. Man fühlt sich nie fremd, ist immer willkommen und bei der Stadtgröße läuft man sich auch immer mal wieder über den Weg. Das ist einfach schön. Und deswegen ist es auch immer Düsseldorf geblieben. •


ABOUT CHRISTOPH PIETSCH

• 2006: Joined GREY Group Germany: Training in marketing communications + subsequent scholarship programme for future managers
• 2009 - 2015: Various roles within GREY Group Germany
• 2015: Became the youngest CMO on the board of a European WPP agency
• 2017: Move to Omnicom agency group DDB as Group CMO
• 2021: Board member of Publicis Groupe DACH as Chief Growth Officer
• Involvement in committees such as GWA (German Association of Communication Agencies), Marketing-Club Düsseldorf, New Business Circle Germany, Beyond Gender Agenda and the "Enkelfähigkeit" initiative
• Since 2018 member of the advisory board of the NRW State Chancellery "Media-Digital-Land NRW" and since 2023 mentor in the start-up programme Scale up NRW
• Awards: e.g. TOP 100 of the industry (Werben & Verkaufen), CREA Award for special commitment in the field of agency marketing and communication, TOP 100 Watchlist (Business Punk), Young Elite - 40 under 40 (Capital), Werben & Verkaufen : voted "Agency of the Year 2019" with the DDB Group agency as well as "Agency of the Year 2022" with the Publicis Groupe agency + voted "Agency Personality of the Year" several times, TOP 40 under 40 (HORIZONT)
• In addition: Development and maintenance of the community platform "Creative Hive" (www.creative-hive.de) and support of the startups O.C. Hairsystems, Beyond, DISAYA and the art buying platform "Meet Pablo" as investor and member of the advisory board


Interview: Rainer Kunst
Text: Tom Corrinth
Pictures: Mimo Khair