"We are successful because we have this special ecosystem"
Seit Mitte 2022 ist Mona Neubaur Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie sowie stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes NRW. Mit VIVID-Herausgeber Rainer Kunst sprach die Ministerin unter anderem darüber, wie Klimaneutralität und sichere, bezahlbare Energieversorgung Hand in Hand gehen können, wie NRW wettbewerbsfähig bleibt und wie sie sich bei all den Herausforderungen ihre persönliche Begeisterungsfähigkeit erhält.
Das erste Mal live gesehen habe ich Dich im Juli 2022 im Malkasten bei Creative.NRW, einer Plattform für Kreative, die Dein Ministerium initiiert hat. Warum ist Kreativwirtschaft in Deinen Augen wichtig für NRW?
Weil die Kombination aus Kreativität und Wirtschaft in einer freien Demokratie Innovationen hervorbringt und so Wachstum und Wohlstand generiert. Weil in NRW sehr viele Menschen im Bereich Kreativwirtschaft arbeiten. Und weil das, was in der Kreativwirtschaft entwickelt wird, häufig auch „out of the box“ ist. Hier entstehen Innovationen, die nahe an einer gesellschaftlichen Realität und nahe am Leben der Menschen sind. Das mag ich sehr gerne.
Wie schaffen wir es, innovative Unternehmen in NRW anzusiedeln und sie entsprechend zu fördern?
Wir müssen die Strahlkraft der vielen erfolgreichen Unternehmen und Startups nutzen, um zu zeigen, welches tolle Ökosystem wir hier haben – diesen Dreiklang aus Forschung und Wissenschaft, aus Industrie und aus Mittelstand. Wir sind erfolgreich, weil wir dieses besondere Ökosystem haben. Wir müssen gezielt die Startup-Szene, insbesondere Tech-Startups in den Bereichen Robotik und KI noch stärker fördern, um zu zeigen: Erfolgsgeschichten wie zum Beispiel die von DeepL sind eben nicht nur in den großen Plattformökonomien in den Vereinigten Staaten oder in anderen Teilen der Erde möglich, sondern auch hier in Nordrhein-Westfalen! Dafür braucht es auch mehr Investitionen: Klar ist, wir müssen noch besser werden in der Akquisition von Wagniskapital. Gemeinsam mit unserer landeseigenen Förderbank und den Geschäftsbanken sind wir dabei, genau dafür Angebote machen zu können. Doch wer entscheidet über Kapital und wer erhält es? Häufig sind Wagniskapitalgeber Männer. Mir ist es wichtig, Frauen den Zugang zu Wagniskapital zu erleichtern, um auch mehr weibliche Erfolgsgeschichten in Nordrhein-Westfalen zu ermöglichen!
Eine sichere und bezahlbare Energieversorgung ist eines der großen Themen unserer Zeit. Wir bekommen kein Gas mehr aus Russland, der Kohleausstieg wird auf 2030 vorgezogen und die AKWs werden Mitte April 2023 abgeschaltet. Gleichzeitig wollen wir klimaneutral werden. Wie managed man so eine Situation?
Das ist in der Tat eine sehr komplexe Herausforderung, da wir die Frage der Energieversorgungssicherheit, der Wettbewerbsfähigkeit und der Klimaneutralität zeitgleich beantworten müssen. Und das in einem harten Wettbewerb mit anderen Regionen der Welt, die in den vergangenen Jahren ihre Erneuerbaren Energien zum Teil entschlossener ausgebaut haben als Deutschland. Aber: Die Haltung in der Gesellschaft und in der Wirtschaft hat sich in den vergangenen 15 Jahren stark in Richtung Erneuerbare Energien entwickelt. Es geht nicht mehr darum, ob wir Windräder aufstellen, sondern es geht darum, wo und unter welchen Bedingungen Windräder installiert werden. Die Unternehmen haben hier ein starkes Eigeninteresse, um auch künftig erfolgreich wirtschaften zu können. Wenn im Sommer zum Beispiel keine Schiffe mehr auf dem Rhein fahren können und die Logistik nicht mehr funktioniert oder Kühlungsprozesse in der Industrie nicht mehr richtig laufen können aufgrund von Niedrigwasser, spüren wir alle, dass sich etwas verändern muss. Also ermöglichen wir Räume, um Energie aus Sonne und Wind zu nutzen – für eine klimaneutrale und bezahlbare Energie, aber auch zum Erhalt der wirtschaftlichen Substanz und der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Unsere große Chance ist, die Klimaneutralität durch Technologieführerschaft zum Erfolg zu begleiten. Indem wir ein Ökosystem schaffen, in dem Innovationen ermöglicht und gefördert werden – in allen damit verbundenen Bereichen, von der Ressourceneffizienz bis hin zur Kreislaufwirtschaft.
NRW hat sehr viele energieintensive Branchen. Papier, Chemie, Stahl, Aluminium. Wie hält man diese Branchen trotz der im Vergleich hohen Energiekosten auch zukünftig in NRW?
Europa muss sich anstrengen, um auch in Zukunft ein attraktiver Standort zu bleiben. Das lösen wir nicht allein als NRW, nicht allein als Bundesrepublik, sondern als Europa im Wettbewerb mit anderen Regionen in der Welt, die teils mit protektionistischen Maßnahmen versuchen, Unternehmen zu sich zu locken. Deswegen braucht es dringend eine europäische Antwort auf diesen globalen Wettbewerb der Standorte. Die EU-Kommission beschäftigt sich ja intensiv mit der Frage „Wie beschleunigen wir Genehmigungen und schaffen es trotzdem, europäische Solidarität auch in einem Binnenmarkt zu halten?“. Wir müssen über Kooperationen in Europa im Wettbewerb mit anderen, attraktiven Standorten die bessere Alternative sein! Wir können dazu auf NRW-Ebene unseren Beitrag leisten – beispielsweise mit besten Standortbedingungen für günstige Energie aus Sonne und Wind und einer deutlichen Beschleunigung der Prozesse für Planungen und Genehmigungen.
Apropos Genehmigungen: Wie können wir beim Ausbau der Erneuerbaren Energien in einem Industrieland wie NRW schneller werden? Bei Windrädern dauert dies aktuell mehrere Jahre – eine Zeit, die wir uns nicht leisten können.
Wir müssen deutlich schneller werden – und daran arbeiten wir aktuell intensiv! Bei der Abwägung von Erneuerbaren Energien und Naturschutz geben uns die EU und der Bund zukünftig vor, bei Beibehaltung des Schutzniveaus vom Individual- zum Populations-Schutz zu wechseln. Das bedeutet: Wenn zum Beispiel die Gesamtpopulation einer Vogelart nicht bedroht ist, kann die Umweltprüfung schneller erfolgen. Die EU geht davon aus, dass dadurch ein Windpark innerhalb von acht Monaten genehmigt werden kann. Das Niveau des Artenschutzes bleibt aber unverändert hoch.
Wie bekommen wir zukünftig die nötigen Fach- und Führungskräfte nach NRW?
Wir brauchen hier gemeinsame Lösungen aller relevanten Ministerien. Einfacher werden muss insbesondere die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen. Es ist gut, dass die Bundesregierung die Zuwanderung von Fachkräften forciert und es ist wichtig, ein attraktiver Standort auch für Menschen aus anderen Regionen der Erde zu sein. Damit zeigen wir nach außen, dass wir eine moderne und liberale Gesellschaft sind, die Diskriminierung bekämpft. Denn für jemanden, der von außerhalb auf Europa schaut, ist zum Beispiel Stockholm nicht so weit weg von Düsseldorf. Wir stehen im Wettbewerb mit vielen anderen, die auch auf der Suche sind. Wir müssen auch soziale Infrastrukturen schneller ausbauen. Wir brauchen bessere Betreuungsangebote für Menschen, die zum Beispiel gerade in der Familienphase sind oder deren Eltern Pflege brauchen. Die Frage ist doch auch: Wie können wir gut ausgebildeten Frauen, die die eigene Karriere für die Familie zurückgestellt haben, die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt erleichtern? Wenn wir das hinbekommen, sichern wir nicht nur die besten Arbeitskräfte. Es ist auch ein wichtiger Beitrag für die ökonomische Unabhängigkeit unserer weiblichen Fachkräfte! Dazu kommt ja auch noch die Frage: Wie bekommen wir es hin, attraktive Arbeitgeber zu sein? Wenn eine moderne Arbeitswelt Flexibilisierung verlangt, müssen wir gemeinsam gute Lösungen entwickeln. Da gibt es viele spannende Ideen, auch im europäischen Ausland. Es ist ein Gewinn für alle Beteiligten in einer Gesellschaft, wenn man die Last nicht Einzelnen auflädt, sondern im besten Sinne kooperiert: Mütter, Väter, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Gewerkschaften usw.
Ich finde, Du wirkst in Deinen Auftritten oft herzerfrischend, optimistisch und zugewandt zum Publikum. Ist Begeisterung so etwas wie Dein Markenkern?
Ich bin ein Mensch, der gerne Neues entdeckt – und lasse mich gerne von Begeisterung anstecken. Wer mit einer solchen Haltung unterwegs ist, erlebt oft viele gute Dinge – und weckt auch die Begeisterung beim Gegenüber. Wenn ich als Wirtschaftsministerin in schwierigsten wirtschaftlichen Lagen auf Unternehmer:innen treffe, die sagen „Es ist jetzt gerade alles andere als sicher, aber ich mache jetzt trotzdem nochmal ein neues Geschäftsfeld auf“, dann begeistert mich das enorm. Ich versuche, diese Begeisterung weiterzutragen mit einer Zuversicht, die nicht naiv ist. Es geht darum Dinge zu bewegen und den Stillstand zu vermeiden. Ich stelle fest, auch in meinem Umfeld, dass so ein Sich-Einrichten mit dem, wie es jetzt ist, mir immer so ein bisschen zu ruhig wäre. Dieses Verändern und Bewegen – diesen Drang habe ich in mir! •
Interview Rainer Kunst / Text Tom Corrinth
Pictures Andreas Endermann