Nothing is without Light

Wir treffen uns im Hinterhof in Friedrichstadt. Hier in seinem Epizentrum lebt und arbeitet Mischa Kuball. Seine Werke sind hier archiviert und in Transportkisten gelagert. Im Atelier mit meterlangen Bücherregalen entstehen die Entwürfe für seine architektonischen Licht- Installationen. Er knipst das vornehmlich weiße Licht an, rückt Orte, Menschen, Natur ins Licht, will so politische und gesellschaftliche Anstöße geben. Der 65-Jährige ist ein Energiebündel, einer, der ein Nein schwer akzeptieren kann, ein unruhiger Geist, am liebsten in Bewegung – physisch und mental.


Mit seiner Lichtinstallation "missing link” will Mischa Kuball an die zerstörte Große Synagoge erinnern.

Mischa, hast du dir jemals etwas anderes als ein Leben als Künstler vorstellen können?
Die Entscheidung wurde wohl eher aus der Not geboren. Ich war ein aufgeweckter Schüler, hatte aber Schwierigkeiten mit Autoritäten. Mein Kunstlehrer war Jörg Immendorff, seine Art von Widerständigkeit hat mich fasziniert. Mit Zwölf konnte ich mir erstmals im Leben vorstellen, Künstler zu sein. Mit 18 wagte ich erste Performances, übernahm kleine Rollen, wurde mit 21 das erste Mal Vater und entschied mich, Sozialpädagogik zu studieren mit Schwerpunkt Medientheorie. Künstler wie Joseph Beuys, aber auch das Bauhaus und Platons Politeia, eine der wirkmächtigsten Schriften der Antike, haben mich geprägt und sind bis heute meine Leidenschaft.

Du hast gerne viele Bälle gleichzeitig in der Luft – wo ist der rote Faden?
Hinter allen Konzepten steht eine Konstante – mein zäher Wille etwas zu bewegen. Mein Werk ist nicht Selbstzweck. Es geht nicht um meine Person, sondern ich als Autor, als Medium bin dienlich. Die Melancholie der Erfüllung besteht für mich darin, etwas weiter zu tragen.

Was für aktuelle Projekte treiben dich um?
Eng verbunden mit Düsseldorf ist „missing link_“ – ein Versuch, die in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 von den Nazis angezündete, bis auf die Grundmauern abgebrannte Große Synagoge der damals hier lebenden 5500 jüdischen Bürger und Bürgerinnen an der Kasernenstraße wieder in Erinnerung zu rufen – ein Lichtzeichen zu setzen. Dort stehen nun ein Neubau und ein Gedenkstein, an den Hunde pinkelten. Ich will die Leerstelle schließen, den Ort aufwerten. Eine zwölf Meter große Glasplatte, die per Keramikdruckverfahren einen Ausschnitt der historischen Synagoge in schwarzer Farbe abbildet, ist nun dauerhaft bei Anbruch der Dunkelheit angeschaltet und leuchtet. In Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, der Stadt Düsseldorf sowie der Mahn- und Gedenkstätte wurde das Projekt realisiert. Mein Wunsch: Vielleicht kann die vergessene Synagoge durch die Lichtinstallation ein zum Frieden aufrufendes Mahnmal werden. Denn Dialogräume braucht es in Zeiten des Nahost-Krieges mehr denn je. Ergänzend zur Installation bietet ein QR-Code Informationen, historische Abbildungen und Zeitzeugenberichte.


Die Melancholie der Erfüllung
besteht für mich darin, etwas
weiter zu tragen

ABOUT MISCHA KUBALL
1959 in Düsseldorf geboren, Konzeptkünstler, arbeitet seit 1977 im öffentlichen und institutionellen Raum. Seine Kunst ist ein Spiel mit dem Medium Licht. Er nutzt es, um architektonische Räume sowie soziale und politische Diskurse zu erforschen und reflektiert eine Vielzahl von Aspekten von soziokulturellen Strukturen bis hin zu architektonischen Interventionen, deren Monumentalität und architekturgeschichtlichen Kontext er betont oder neu interpretiert. Er lehrt „public art“ an der Kunsthochschule für Medien, Köln; ist assoziierter Professor des Exzellenz- Clusters an der Humboldt-Universität Berlin und Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Künste NRW. Er ist verheiratet und Vater von drei Söhnen (44 und 22 Jahre alt).


Du reflektierst Vergangenes und schaffst gesellschaftskritische Bezüge zum aktuellen Zeitgeschehen. Was elektrisiert dich?
Ungerechtigkeit, wenn etwas zu Unrecht marginalisiert, ungehört und unberücksichtigt bleibt. Es lohnt sich, Stellung zu beziehen, sich einzumischen. Haltung einnehmen und Haltung haben, ist eine Kraftanstrengung. Wer zögert, der wird nicht ernst genommen. In jedem einzelnen Projekt wird Öffentlichkeit an sich hinterfragt, ihre Bedingungen und Möglichkeiten zur Partizipation, vielleicht auch ihr Grad an Demokratie. Meine Arbeiten suchen Öffentlichkeit, um sie zu mobilisieren und zu sensibilisieren. Ziel ist ein Diskussionsraum, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft und Ausprägung, unterschiedliche Themen und Meinungen Platz finden. Denn das ist immer auch ein Plädoyer für Toleranz und friedliches Miteinander.

Licht, dein künstlerisches Material, erhellt Situationen in Politik, Raum, Gesellschaft und Geschichte. Bist du ein Lichtkünstler?
Eher Konzeptkünstler. Ich spreche auch nicht von einem Werk, sondern von einem Werkzeug, das einen Impuls setzen kann.


Das transnationale Projekt „if walls could tell“ wird Ende 2025 final im Weltkunstzimmer in Flingern ankommen.


Wo und wie findest du die Themen?
Ein Beispiel. Als die Ukraine angegriffen wurde, war die Rede vom ersten Krieg in Europa seit 1945. Ausgeblendet wurde dabei der Balkankrieg in den 1990er Jahren. Wir hinterfragen nun mit dem transnationalen Projekt „if walls could tell“ Kunstinstitutionen im Hinblick auf ihre Durchlässigkeit zu breiteren sozialen Gruppen innerhalb einer Gemeinschaft. Über einen begrenzten Zeitraum werden in mehreren Städten Südosteuropas drei symbolische Museumswände im öffentlichen Raum installiert, wo sie als zugängliche und temporäre Bühne für die Einwohner dienen. Wie ein Filter werden diese Wände alle „Spuren“ kultureller und urbaner Ausdrucksformen der Menschen auffangen, weg von den kulturellen Institutionen, auf die sie sich beziehen. So werden die Wände in Sarajewo in dem von Renzo Piano geplanten Neubau des Ars Aevi Museums stehen. Ende 2025 wird die von der Bundeszentrale für Politische Bildung geförderte Aktion final im Weltkunstzimmer in Flingern ankommen.

Was steckt hinter Space relations, einem weiteren Projekt im Weltkunstzimmer?
Ein Jahr lang werde ich dort mithelfen, ein starkes internationales Netzwerk zu knüpfen, um das einmalige Kunstzentrum der Hans Peter Zimmer- Stiftung in Europa neu zu positionieren, es als Partner in allen Sparten der Künste sichtbarer zu machen.

Ist Düsseldorf ein guter Ort für dich als Künstler?
Ich mag das Ländliche, aber für die Arbeit brauche ich urbane Spannungsräume, eine Stadtgesellschaft mit all ihren Kontroversen und Unterschiedlichkeiten.

Du gehst gerne die Extrameile und das nicht nur als Marathonläufer ...
Laufen ist für mich dynamische Meditation, und die funktioniert überall auf der Welt. Wobei es schon ein wahnsinniges Privileg ist, hier in Düsseldorf am Rhein laufen zu können. •


Words: Dagmar Haas-Pilwat
Pictures: VG BILD-KUNST BONN 2024, Achim Kukulies, Nicolas Wefers, Archiv Mischa Kuball