Work in Progress
Unternehmen suchen händeringend Fachkräfte und Personal. Wie sieht da der Arbeitsmarkt in einer internationalen Metropole wie Düsseldorf aus? Und welche Ideen und Lösungen gibt es?
Rund 5 Millionen Fachkräfte sollen bis 2030 in Deutschland fehlen laut einer Studie vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Auch in einem kleineren Radius, im wirtschaftsstarken Düsseldorf, sind die Veränderungen durch den demografischen Wandel klar spürbar: „In den letzten zehn Jahren sind in unserer Stadt 17.000 Menschen in Rente gegangen. In den nächsten zehn Jahren werden es fast 95.000 Menschen sein. Daran sieht man, warum wir so viele Hebel brauchen, um alles Potenzial heben zu können, das wir haben“, erklärt Birgitta Kubsch-von Harten, die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Düsseldorf. „Ein wichtiger Hebel ist das Thema Ausbildung. Ein zweiter Hebel ist die Qualifizierung von denjenigen, die bisher keine Ausbildung haben, und die Weiterbildung von Beschäftigten, um State of the Art zu bleiben. Und ein dritter Hebel ist die internationale Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland.“
Die großen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt beeinflussen auch das Business von zwei großen Playern in Düsseldorf – den Job-Portalen Stepstone und Indeed, die beide auf Wachstumskurs sind. „Laut einer unserer aktuellen Studien benötigen 8 von 10 Unternehmen derzeit länger als in den Vorjahren, um eine offene Stelle zu besetzen. Das ist immens und für Bewerber:innen natürlich eine gute Position. Entsprechend können sich knapp zwei Drittel der Arbeitnehmenden derzeit einen Jobwechsel vorstellen. Über unsere Plattform bewerben sich seit 2020 immer mehr Menschen, ein Ende ist nicht in Sicht“, sagt Mario Kühlkamp, Managing Director von The Stepstone Group EMEA. Beim Wettbewerber Indeed stellt Frank Hensgens, Managing Director DACH, fest: „Infolge der Pandemie erlebte Deutschland zuletzt einen Jobboom, der jüngst durch die wirtschaftliche Entwicklung etwas abgeflacht ist. Aber das Niveau der Stellenanzeigen ist im historischen Vergleich immer noch sehr hoch – und wegen des demografischen Wandels wird die Nachfrage auch in den nächsten Jahren sehr hoch bleiben.“
TIPPS
„Wir sind viel zu formal in Deutschland und hängen an stromlinienförmigen Lebensläufen. Unternehmen müssen flexibler werden. Sie sollten zeigen, was sie als Arbeitgeber zu bieten haben: etwa Homeoffice und flexible Arbeitszeiten. Außerdem gibt es viele Arbeitskräfte im Land, die kein Deutsch sprechen. Deshalb raten wir Arbeitgebern, ihre Stellenangebote auch auf Englisch zu veröffentlichen“, sagt Frank Hensgens.
„In den vergangenen Jahren hat vor allem die Angabe von Gehaltsspannen in Stellenanzeigen an Fahrt aufgenommen. Diese Information wird von immer mehr Kandidaten erwartet und sorgt umgekehrt für bessere Bewerbungen – weil beide Seiten von Anfang an wissen, woran sie sind“, so Mario Kühlkamp.
Um Hebel 1, die Stärkung des Ausbildungsmarktes, zu betätigen, arbeiten wichtige städtische Player wie die Arbeitsagentur, die Wirtschaftsförderung, die IHK und die Kammern Hand in Hand. Im Vergleich mit vielen Kommunen, in denen es mehr Bewerber:innen als Ausbildungsstellen gibt, steht Düsseldorf noch gut da: Hier kommen laut Arbeitsagentur branchenübergreifend aktuell auf 100 Bewerber:innen 120 Stellen. „Im Vergleich zum Vorjahr wurden mehr Ausbildungsstellen gemeldet. Das Interesse der Unternehmen an Ausbildung steigt, weil es für viele ein wichtiger Schritt der Fachkräftesicherung ist“, ist sich Birgitta Kubsch-von Harten sicher. Vor allem das Handwerk biete jungen Menschen, für die Nachhaltigkeit und Digitalisierung eine besonders wichtige Rolle spielen, spannende und zukunftsweisende Berufsbilder – wenn man allein an die Bereiche Energietechnik, Smart Home oder Robotertechnik im medizinischen Bereich denkt.
Auch an den Hochschulen macht sich der Fachkräftemangel zunehmend bemerkbar: „Unsere Jobbörsen quillen über mit wirklich sehr attraktiven Unternehmens-Angeboten – allen erdenklichen Arten von Praktika, direkten Einstiegsmöglichkeiten und Traineeprogrammen. Es ist schon jetzt so, dass viele Bedarfe nicht gedeckt werden können und unsere Studierenden die Qual der Wahl haben“, sagt Prof. Dr. Astrid Lachmann, Dekanin der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Hochschule Düsseldorf. Dort können die Fachkräfte von morgen auch verschiedene Beratungsangebote nutzen, um auf ihrem individuellen Studienweg unterstützt zu werden (siehe Kasten). Das Resultat einer solchen Beratung kann – in Einzelfällen – auch sein, dass eine Ausbildung die bessere Alternative wäre. „In Zeiten, wo es für Unternehmen immer schwieriger wird, Ausbildungsplätze mit Schulabgängern:innen zu besetzen, stellen Studienabbrechende ein interessantes Potenzial dar. Sie sind reifer, reflektierter und womöglich besonders motiviert, wenn ihnen eine zweite Tür geöffnet wird. Es gibt bereits erste Unternehmen, die das Potenzial erkennen und uns ihr Interesse kommunizieren. Andere dürften zukünftig folgen. Wir sind gerne bereit, auch in dieser Konstellation Unternehmen und Studierende zu vernetzen“, so Lachmann.
Regelmäßige Weiterbildungsangebote in den Betrieben sind ein weiterer Hebel – gerade für die nachfolgende Generation ist das ein wichtiges Entscheidungskriterium bei der Jobwahl. Potenziale können Unternehmen aber auch noch an vielen weiteren Stellen heben. Zum Beispiel indem Rahmenbedingungen geschaffen werden, um insbesondere Frauen nach einer Kinderpause den Wiedereinstieg in den Beruf individuell bestmöglich zu gestalten. Oder indem verstärkt schwerbehinderte Menschen eingestellt werden . „Da würden wir uns manchmal noch mehr Offenheit seitens der Unternehmen wünschen. Wir können so viele Unterstützungsm.glichkeiten anbieten, was das betrifft, zum Beispiel bei der Finanzierung von behindertengerechter Büroausstattung“, sagt Kubsch-von Harten.
SUPPORT FÜR STUDIERENDE
Die Hochschule Düsseldorf unterstützt Studierende auf ihrem individuellen Studienweg mit verschiedenen kostenfreien Beratungsangeboten. Studierenden aller Fachbereiche, die (aus verschiedensten Gründen) am Studium zweifeln, bietet Dr. Katrin Ullmann von der Zentralen Studienberatung (ZSB) eine Beratung und Coaching an – neutral, vertraulich und lösungsorientiert. Mehr Infos unter Zweifel am Studium? (hs-duesseldorf.de) Der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften fördert seine Studierenden sogar mit einem eigenen Mentoring / Coaching: Mit Laura Lammertz können Studierende über Wünsche, Bedürfnisse und Herausforderungen im Studium sprechen und gemeinsam Lösungswege erarbeiten. Mehr Infos unter wiwi.hs-duesseldorf.de/studium/beratung/mentoring
Auch bei Hebel 3, der Rekrutierung ausländischer Fachkräfte, gibt es viele Hilfestellungen in Düsseldorf. Das vor kurzem in Kraft getretene neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz bietet dafür nun auch bessere Rahmenbedingungen. Beispielsweise engagieren sich die Arbeitsagentur und IHK zusammen im (bundesweit an 5 Standorten durchgeführten) Pilotprojekt „Hand in Hand for International Talents“. Dabei werden außerhalb der EU, gemeinsam mit Kooperationspartnern vor Ort, qualifizierte Fachkräfte aus den Bereichen IT, Elektrotechnik und Hotel- und Gaststättengewerbe angeworben und mit interessierten Unternehmen in Kontakt gebracht. Zum bundesweiten Vorbild hat sich außerdem der Expat Service Desk als Anlaufstelle der Wirtschaftsförderung entwickelt.
Die Herausforderungen für die Unternehmen sind zweifellos groß, aber es gibt Hebel und Stellschrauben. Gerade in Düsseldorf, das sich ohnehin durch einen sehr robusten Arbeitsmarkt auszeichnet, stehen viele Kooperations- und Ansprechpartner:innen aus den unterschiedlichsten Bereichen zur Seite, um gemeinsam mit den Firmen Wege durch den War of Talents zu finden. •
EXPAT SERVICE DESK
Der Expat Service Desk ME&DUS ist eine Informations- und Beratungsstelle der Wirtschafsförderungen Düsseldorf und Mettmann sowie der IHK Düsseldorf. Er bündelt alle relevanten Informationen und Angebote für Expats in Düsseldorf und Mettmann, berät mehrsprachig und vernetzt – und leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Willkommenskultur und Standortattraktivität. Die 2017 bundesweite erste Beratungsstelle dieser Art wurde mehrfach ausgezeichnet und hat Vorbildfunktion für andere Städte.
EXCITING RESEARCH FINDINGS
Professor Stefan Süß, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeit, Personal und Organisation an der Heinrich-Heine- Universität, forscht zum Beispiel zu Personalführung, flexibles Arbeiten und Arbeitgeberattraktivität.
Dafür untersucht er die Einstellungen und Meinungen von (potenziellen) Hochschul-Absolvent:innen. „Zum einen haben wir herausgefunden, dass flexibles Arbeiten besonders dann attraktiv ist, wenn dabei die Kombination aus Arbeitszeit und Arbeitsort berücksichtigt wird. Was die Arbeitsinhalte angeht, sind Themen wie Sinnhaftigkeit und Selbstverwirklichung enorm wichtig, aber auch die Partizipation an Entscheidungen – hierarchische Führungsstrukturen haben es da schwer.“ Attraktivitätssteigernd seien zudem die Möglichkeit von beruflichen Auszeiten wie Sabbaticals und eine aktive Social Media-Präsenz von Unternehmen. „Allerdings tun Arbeitgeber:innen gut daran, nicht zu übertreiben in den sozialen Medien und sich realistisch zu präsentieren. Denn wenn Erwartungen in der Realität nicht erfüllt werden, haben die Young Professionals keine Hemmungen, auch wieder zu gehen“, so Süß. •
Podcast-Tipp:
Im Düsseldorfer HR-Podcast werden monatlich spannende Themen aus den Bereichen Arbeit, Personal und Organisation diskutiert – Universität Düsseldorf: HR-Podcast
NEW LAW FACILITATES IMMIGRATION
Seit November 2023 tritt das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz schrittweise in Kraft. Was das bedeutet, erklärt Jeannette Michaelle Nintcheu, Researcher für Zuwanderung beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln.
Warum war eine Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes nötig?
Aus meiner Sicht waren die administrativen Hürden davor für viele potenzielle Fachkräfte einfach zu hoch. Zum Beispiel musste vorher das Anerkennungsverfahren bereits vor der Anreise einer Fachkraft aus Drittstaaten nach Deutschland abgeschlossen gewesen sein. Das hat viel Zeit gekostet und war auch nicht attraktiv. Nun gibt es einige Neuerungen, die schrittweise in Kraft treten und die Prozesse sowohl für Fachkräfte als auch für Unternehmen erleichtern können.
Neu ist zum Beispiel, dass auch Berufserfahrung, ohne vorherige Anerkennung, ein wichtiger Faktor ist.
Genau. Die neuen Bestimmungen ermöglichen es Arbeitgebern, Menschen aufgrund ihrer Berufserfahrung anzustellen. Vor der Novellierung war das nur für IT-ler möglich. Diese Regelung hat man auf alle nicht-reglementierten Berufe erweitert, also Berufe, die keine bestimmte Zulassung wie eine Approbation oder einen Meister-Titel erfordern. Voraussetzungen sind unter anderem ein Berufs- oder Hochschulabschluss, der im Erwerberland staatlich anerkannt ist, und mindestens zwei Jahre Erfahrung im angestrebten Beruf.
Wie funktioniert die neue sogenannte Chancenkarte, die ab Juni 2024 gilt?
Die Chancenkarte funktioniert hauptsächlich nach einem Punktesystem. Wenn Personen aus Drittstaaten mindestens 6 Punkte im Kriterienkatalog erreicht haben, können sie nach Deutschland mit einem 1-Jahres-Visum einreisen und einen qualifizierten Job suchen. Wer beispielsweise jünger als 35 Jahre ist, bekommt bereits zwei Punkte. Oder wer Deutsch auf Niveau B1 kann, bekommt zwei Punkte. Und zwei Jahre Berufserfahrung in den letzten fünf Jahren können auch in zwei Punkten eingelöst werden. •
Mehr Infos unter Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz (bit.ly/make-it-in-germany).
Words: Tom Corrinth
Pictures: PR, Agentur für Arbeit Düsseldorf, simonthon, The Stepstone Group / Oliver Bellendir, Andreas Anhalt, HSD, Simonthon, IW Köln