“You can be a world leader in any niche market”

 

Hermann Simon hat mit dem Konzept der Hidden Champions dem deutschen Mittelstand zu mehr Ansehen verholfen. Ein Gespräch über Spezialistentum, falsche Bescheidenheit und den Erfolg von Wurstpellen-Clips.

 
 

Herr Professor Simon, warum sind deutsche Unternehmen im Export so erfolgreich? 1987 stellte Ihnen der Harvard-Professor Theodore Levitt diese Frage. In Ihrem neuesten Buch (siehe Kasten) beschreiben Sie, dass dies den Ausschlag für Ihre Forschung zu den Hidden Champions gegeben hat. Wie kamen Sie darauf, zur Beantwortung der Frage den deutschen Mittelstand in den Blick zu nehmen, der doch bis dahin in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle spielte? 

Dass Theodore Levitt mir diese Frage stellte, hatte einen Grund: Ein Jahr zuvor war Deutschland zum ersten Mal Exportweltmeister geworden. Diese Nachricht ging mir damals nicht aus dem Kopf. Der erste Gedanke war, dass Schwergewichte wie Bayer oder Siemens hinter diesem Erfolg stecken. Aber mir fiel auch auf, dass es eine hohe Zahl von Mittelständlern gab, die in ihren Segmenten Weltmarktführer waren und schnell wuchsen. Also habe ich mir über viele Jahre hinweg die Struktur der Exporte aus Deutschland angeschaut und hierfür auch Forschungsaufträge vergeben. Eine erste Diplomarbeit fand 39 solcher Weltmarktführer aus dem Mittelstand. Und in den letzten 30 Jahren kamen immer mehr hinzu. Heute sind es rund 1.600. Im Jahr 1990 habe ich mit dem Begriff Hidden Champions versucht, diesem Phänomen einen Namen zu geben.

„mir fiel auf, dass es eine hohe Zahl von Mittelständlern gab, die in ihren Segmenten Weltmarktführer waren und schnell wuchsen.“

Ein Unternehmen ist nach Ihrer Definition ein Hidden Champion, wenn es zu den Top-3-Unternehmen auf dem Weltmarkt zählt oder die Nummer 1 auf einem Kontinent ist, wenn es einen Umsatz von weniger als fünf Milliarden Euro erwirtschaftet und wenn es über einen geringen Bekanntheitsgrad verfügt. Wie erklären Sie sich, dass demnach Hidden Champions primär im deutschsprachigen Raum auftreten?

Das hat eine ganze Reihe von Ursachen. Ich nenne Ihnen mal zwei wichtige aus der Historie: Deutschland war in der Vergangenheit ja lange Zeit politisch betrachtet ein Flickenteppich, eine Ansammlung von Kleinstaaten. Wenn also beispielsweise ein Unternehmen aus München damals wachsen wollte, musste es schnell auf internationalen Märkten aktiv werden. Und da zählte zum Beispiel selbst Stuttgart schon dazu, da Stuttgart im Königreich Württemberg lag. Die föderalistische Struktur ist also das eine. Die andere Ursache dafür, dass wir Hidden Champions vorwiegend im deutschsprachigen Raum antreffen, sind die vielen Spezialkompetenzen in den einzelnen Regionen in Deutschland, die sich im Laufe der Geschichte herausgebildet haben. Nehmen Sie etwa den Schwarzwald mit seiner jahrhundertealten Uhrenindustrie! Die hohe feinmechanische Kompetenz, die dort zu finden war, wurde immer mehr angewandt auf medizintechnische Produkte – mit dem Ergebnis, dass die Region heute vor allem in diesem Bereich sehr stark ist: Mehr als 500 Medizintechnik-Unternehmen haben ihren Sitz im Schwarzwald. Zudem ist Deutschland mental sehr internationalisiert. Auch bei Jungunternehmen hierzulande ist das deutlich zu spüren: So machen deutsche Start-ups viel schneller den Schritt aufs internationale Parkett als etwa Start-ups in Frankreich oder auch in den USA.

Wie erklären Sie sich, dass Hidden Champions in vielen Fällen aus dem Industriebereich stammen?  

Das liegt vor allem daran, dass wir es bei der Entwicklung, der Herstellung und dem Export von Industriegütern meist mit international standardisierten Prozessen zu tun haben. Die Produkte sind nahezu identisch und müssen im Vergleich etwa zu Konsumgütern in der Regel weniger Bürokratiehürden überwinden. Sie können also ein System für Schrauben, Reißbrettstifte, Sektkorken oder Roboter in den meisten Fällen 1:1 auf die Welt ausrollen.

Der Begriff der Hidden Champions lässt auf eine gewisse Bescheidenheit schließen. Inwiefern beschreibt er damit auch das Selbstbild, das der deutsche Mittelstand womöglich von sich hat? 

Das ist ein wichtiger Punkt. In der Tat waren früher viele Führungskräfte von Hidden Champions bei öffentlichen Auftritten sehr zurückhaltend und wollten nicht groß im Rampenlicht stehen. Viele haben sogar zu mir gesagt: „Bitte erwähne uns nicht in deinen Studien.“ Diese falsche Bescheidenheit ist aber gar nicht so abwegig, wenn wir uns anschauen, in welchen Segmenten Hidden Champions häufig aktiv sind: Viele ihrer Produkte sind so trivial, dass sich ein Endkunde nicht groß darum kümmert. Von wem die Clips für die Wurstpellen stammen? Das ist ihm doch egal. Er nimmt solche Produkte vielleicht nicht einmal wahr. Das zeigt: In jedem Nischenmarkt kann man Weltmarktführer sein, das ist das Spannende daran. Diese Vielfalt unserer Wirtschaft ist uns oft nicht bewusst.

Bei aller Bescheidenheit und Nischenpräsenz: Ist es denn für Hidden Champions nicht auch ratsam, sichtbarer zu werden? Gerade in wettbewerbsintensiven Branchen und vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels sind Bekanntheit und Sichtbarkeit doch sehr wichtige Kriterien …

Da haben Sie Recht. Aber ich beobachte auch, dass sich hier in den letzten Jahren etwas getan hat. So sind viele Unternehmen im Recruiting sehr rege geworden – wobei man sagen muss: Einigen von ihnen bleibt auch gar nichts anderes übrig, da sie häufig in abgelegenen Regionen ansässig sind, die für Bewerber wenig attraktiv sind. Da müssen Sie einfach „trommeln“ und auf Ihre Stärken als Arbeitgeber aufmerksam machen.

Welche sind das zum Beispiel? Womit können Hidden Champions punkten? 

Durch die Internationalisierung bieten die meisten Hidden Champions sehr gute Karrierechancen. Dass ein Unternehmen Weltmarktführer in einem bestimmten Bereich ist, ist für viele Bewerber ein wichtiges Argument. Der Begriff Hidden Champion, der sich inzwischen als Label etabliert hat, hat sicher ebenfalls einen Teil dazu beigetragen. Betonen will ich auch die Mitarbeitertreue, die in diesen Unternehmen herausragend ist: 2,7 Prozent pro Jahr beträgt die Fluktuationsrate bei den Hidden Champions. Zum Vergleich: In deutschen Firmen liegt sie im Schnitt bei 7,3 Prozent.

Hidden Champions fokussieren sich also jeweils auf eine ganz bestimmte Nische und erobern aber gleichzeitig den globalen Markt. 

Nach all Ihren Ausführungen: Dann ist die Annahme „Wer besonders groß und umsatzstark ist, setzt sich im Wettbewerb durch“ eher ein Trugschluss? Oder wie sollte man hier differenzieren?

Wer mit seinen Produkten einen Massenmarkt bedient, für den mag diese Annahme stimmen. Für Hidden Champions würde ich es eher umgekehrt formulieren: Wer besonders gut ist, setzt sich im Wettbewerb durch und erreicht eine beachtliche Größe. Hidden Champions fokussieren sich also jeweils auf eine ganz bestimmte Nische und erobern aber gleichzeitig den globalen Markt. Mit dieser Strategie werden sie in ihrem Marktsegment zu den dominanten Playern. •


Prof. Dr. Dr. h.c. mult.
Hermann Simon

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon is Honorary Chairman of the management consultancy Simon-Kucher & Partners. As an expert in strategy, marketing and pricing, he advises companies all over the world. He was a professor of business administration and marketing at the universities of Mainz and Bielefeld and a visiting professor at universities such as Harvard and Stanford. His concept of “Hidden Champions”, which defines a new category of market leaders and emphasises in particular the formative role of the German SME sector, received great attention worldwide. With Simon-Kucher & Partners he created the world market leader in price consulting, i.e. a hidden champion.

www.hermannsimon.com


He describes his own story in “Zwei Welten, ein Leben - Vom Eifelkind zum Global Player” (Campus Verlag, 2018).
One of his latest publications is entitled “Hidden Champions - Die neuen Spielregeln im chinesischen Jahrhundert” (Campus Verlag, 2021).
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Hidden Champions in the Chinese Century: Ascent and Transformation (Springer, 2022) 


Words Elena Winter 
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