Let’s get digital
Geschlossene Museen, verschobene Ausstellungen, Künstler in der Isolation. Düsseldorfer Kunstbetriebe rüsteten in der Corona-Krise digital auf und brachten Kunst ins Netz – und umgekehrt. Ein Schritt in die Zukunft.
Mit einem Klick ins Museum. Bequem vom Sofa aus beim virtuellen Rundgang Meisterwerke der Kunstgeschichte betrachten. Die Covid19-Pandemie hat in nahezu allen Kulturinstitutionen die Entwicklung digitaler Formate beschleunigt. Museen experimentieren mit digitalen Sammlungen, immersiven Erlebnissen und virtuellen Hintergründen. Und nutzen digitale Tools, um Besucher vor Ort optimal zu verteilen.
„Unser Fokus liegt noch immer auf Ausstellungen im analogen Raum, wir sind aber dabei, diese Räume immer stärker im Digitalen zu erweitern.“
Als eines der ersten Museen Deutschlands war der Düsseldorfer Kunstpalast bereits vor Corona bei Google Arts & Culture gelistet, einer Plattform, auf der über 2.000 Museen weltweit ihre Werke online präsentieren. Auch in den künstlerischen Arbeiten selbst spielt Digitalisierung eine wachsende Rolle. Wer besonders intensiv mit digitalen Künsten arbeitet, ist das NRW Forum unter der Leitung von Alain Bieber. Der experimentelle Digital-Pionier unter Düsseldorfs Kuratoren zeigt VR-Arbeiten durch die Virtual-Reality-Brille, raumumgreifende AR-Werke und Videokunst als Online-Screening oder Videoprojektion. „Unser Fokus liegt noch immer auf Ausstellungen im analogen Raum, wir sind aber dabei, diese Räume immer stärker im Digitalen zu erweitern“, erklärt der Geschäftsführer und künstlerische Leiter. Für die Zukunft will Bieber vermehrt auf hybride Veranstaltungsformate aus lokalen Vor-Ort-Events und weltweiten Live-Streamings setzen. Auch in Sachen Vermittlung experimentieren er und sein Team gerne: von Live-Workshops via Videokonferenz über Künstler*innen-Gespräche auf Instagram bis zur Netzkunst auf der eigenen Website. Besonders spannend: Das NRW Forum hat mit www.nextmuseum.io gerade eine eigene Plattform ins Leben gerufen, auf der Künstler, Kuratoren und Interessierte gemeinsam ein Museum der Zukunft gestalten können. Bieber selbst kuratiert hier gemeinsam mit dem Publikum kommende Ausstellungsprojekte wie etwa ’Willkommen im Paradies‘, für das fast 400 Vorschläge gesammelt wurden. „Mit dieser Plattform forschen wir auch an neuen technologischen Möglichkeiten im Ausstellungsbetrieb, zum Beispiel einem KI-Kurator oder digitalen Ausstellungsschildern“, erläutert Bieber und kommt gleich mit dem nächsten innovativen Projekt um die Ecke: einem Kulturlabor für Künstliche Intelligenz. Im Herbst 2021 gestalten im Rahmen der weltweit ersten digitale Skulpturenbiennale zudem zeitgenössische Künstler*innen neue Augmented-Reality-Kunstwerke für Düsseldorf.
Auch die etwas traditionellere Kunstsammlung NRW mit den Museen K20 und K21 beobachtet die zunehmende Verschränkung von künstlerischer Produktion und neuesten technischen und experimentellen Möglichkeiten. „Künstler*innen wie Hito Steyerl und Simon Denny, deren Ausstellungen ab September 2020 bei uns zu sehen sind, nutzen digitale Medien für die Kunstproduktion und gleichermaßen für die Einbeziehung des Publikums“, erklärt Anne Fischer, Leiterin Marketing und Digitales bei der Kunstsammlung NRW. Simon Denny etwa hat seine Ausstellung – parallel zum realen Museumsraum – auf die Gaming-Plattform ’Minecraft‘ übertragen. Hito Steyerls Arbeiten basieren teilweise auf Augmented Reality-Komponenten, die über iPad oder Handy den Ausstellungsbesuch ästhetisch und inhaltlich erweitern. Auch die Vor- und Nachbereitung des Museumsbesuchs findet zunehmend auf digitalen Kanälen statt. Sowohl Bedarf als auch Erwartungen an Online-Content steigen. Die Kunstsammlung reagiert darauf mit ausgebauten Online-Formaten wie Ausstellungstouren oder Künstlergesprächen. „Wir streben verstärkt die Produktion von komplexeren Formaten an, die Usern inhaltlich vertiefte Einblicke geben“, sagt Fischer. Dazu zählen Bewegtbild-Serien für Instagram ebenso wie Podcast-Reihen. Die Präsentation der Sammlung online und App-basierte Besucherführung vor Ort sollen im kommenden Jahr auf den aktuellen Stand der Technik gebracht werden.
Auch Galerien und Kunstmessen erobern den digitalen Raum. Die Art Düsseldorf hat eine eigene Plattform kreiert, um die Präsentation von Kunst und den Verkaufsprozess im Digitalen neu zu definieren. „Hier sind wir eher von den klaren Prozessen von Streaming-Diensten inspiriert, als von den bisher bestehenden digitalen Showrooms oder 3D Lösungen“, erklärt Geschäftsführer Walter Gehlen. Seine Prognose: Digitale Plattformen werden Showrooms eröffnen und umgekehrt werden Messen und Galerien verstärkt ihren Content online ausbauen. Und: Der Anteil digital verkaufter Kunst wird weiter steigen. Während des Lock-Downs halfen einige digitale Initiativen Künstlern in der Not, so z.B. die Instagram-Livestream-Ausstellung Empty Space der Düsseldorfer Kreativ Community Weird Space. Das Kollektiv versteigerte über 140 Kunstwerke und teilte alle Einnahmen zu gleichem Anteil auf Künstler auf. Spenden und Sichtbarkeit für die Kunst sammelte auch das Studio für Digitalität Rosy DX. Auf der eigens ins Leben gerufenen Online-Plattform ’Art Will Save Us‘ organisierte das Kollektiv im April 23 Performances mit zeitgenössischen Künstlern aus der ganzen Welt. Einer der Gründer von Rosy DX: Alain Bieber. •
artwillsaveus.club
www.nextmuseum.io
www.nrw-forum.de
www.art-dus.de
www.kunstsammlung.de
artsandculture.google.com
What’s next Alain Bieber?
Drei Fragen an den künstlerischen Leiter des NRW-Forums Düsseldorf
Wie wird sich die die Betrachtung von Kunst durch die Erfahrung der letzten Monate und den digitalen Wandel verändern?
Ich glaube, dass viele Menschen gemerkt haben, dass Kunstgenuss auch außerhalb von klassischen, analogen Kulturinstitutionen gut funktioniert. Das hilft zum Beispiel auch der Netzkunst-Szene. Und natürlich verändert der digitale Wandel nicht nur die Rezeption, sondern auch die Kunst selbst. Die Kunst thematisiert ja oft auch gerade diesen digitalen Wandel. Diese Disruption war ja auch ein Schockmoment – aber ich bin überzeugt, dass dies auch wieder zu großartigen neuen Kunstwerken führen wird.
Wie gut werden digitale Angebote von Besuchern genutzt?
Unsere digitalen Vermittlungsformate waren im Lockdown alle sofort ausgebucht. Man erreicht noch einmal ganz neue Zielgruppen. Aber merkt natürlich auch, dass der digitale Wettbewerb und die Erwartungshaltung der Besucher*innen größer geworden sind. Die suchen qualitativ wirklich gut gemachte Formate. Hier konkurrieren Museen dann auf einmal mit Akteuren wie Netflix, YouTube und TikTok.
Wie sieht das Museum der Zukunft aus?
Transparent, divers, offen, maßgeschneidert, international, experimentell, überraschend, inspirierend, unterhaltsam, digital, lehrreich, barrierefrei, mutig – so wie eben auch schon heute gute Museen aussehen. Und natürlich werden neueste digitale Technologien noch eine größere Rolle spielen, wie zum Beispiel Algorithmen bei der Besucher*innen-Forschung oder Maschine Learning bei der Aufbereitung digitaler Sammlungen. •
Words: Karolina Landowski
Pictures: PR