“Maybe we have to risk more”

 

Die Technisierung unseres Alltags schreitet voran. Welche Rolle werden Roboter dabei spielen? Wie können sie uns bei den Herausforderungen unterstützen, die die Zukunft an uns stellt? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Elsa A. Kirchner von der Universität Duisburg-Essen über große Sprünge – von Mensch und Maschine.

 

Frau Professor Kirchner, worin sehen Sie vorrangig den Sinn und Nutzen von Robotik?
Roboter können Menschen unterstützen und von schweren und monotonen Arbeiten entlasten, zum Beispiel ganz klassisch in der Montage in der Autoindustrie. Außerdem können sie in Gebieten eingesetzt werden, die der Mensch nicht oder noch nicht erreichen kann oder die zu große Gefahren für den Menschen bergen. Bekannt sind die sogenannten Roboter-Rover auf dem Mars. Aber es gibt auch Roboter zur Entschärfung von Bomben und zur Kartierung von Gebieten auf der Erde, zum Beispiel den Ozeanbereichen unter dem Schelfeis, zu denen der Mensch keinen Zugang hat. Je nach Einsatzgebiet haben diese Roboter unterschiedliche Kompetenzen beziehungsweise eine unterschiedliche Eigenständigkeit.

Sie befassen sich unter anderem mit robotischen Lösungen in der Medizin, vor allem mit sogenannten Exoskeletten, die bewegungseingeschränkten Patienten das Leben erleichtern. Was steckt genau hinter der Idee? 
Exoskelette können passive technische Systeme sein oder aktive, von Motoren angetriebene Systeme. Aktive Exoskelette sind letztlich Roboter, die man am Körper trägt. Sie können ihr Verhalten anpassen oder auch lernen. Sie sind in der Lage, Kräfte in den Menschen einzubringen, um ihn bei Bewegungen zu unterstützen. Wir unterscheiden hier zwischen entlastender und kompensatorischer Unterstützung, zum Beispiel von Patienten nach einem Schlaganfall. Exoskelette können beispielsweise den Arm oder die Beine gezielt bewegen. Eine gewisse Intelligenz des Systems ist nötig, um je nach Bedarf des Patienten passend zu unterstützen. Beinbewegungen, die eher rhythmisch ablaufen, müssen anders unterstützt werden als eine zielgerichtete Bewegung des Armes, etwa beim Greifen einer Tasse. Das Exoskelett muss also Fähigkeiten autonomer Systeme besitzen, aber gleichzeitig wissen, wann und wie der Mensch genau Unterstützung braucht. Hierfür sind sehr fortschrittliche Mensch-Roboter-Schnittstellen vonnöten. Daran forsche ich.

Dem Rätsel unseres Daseins auf der Spur: Roboter, die eingesetzt werden, um die Gegebenheiten im Weltall zu erforschen.

Was ist aktuell auch etwa in der Industrie möglich, um Menschen die Arbeit zu erleichtern?
Oft werden Exoskelette hier eingesetzt, um Menschen bei Bewegungen oder Haltungen zu unterstützen, die häufig durchgeführt werden oder anderweitig körperlich belastend sind. Hier geht es darum, Schädigungen des Bewegungsapparates vorzubeugen. Aus Kostengründen und auch wegen der geringeren Komplexität handelt es sich dabei oft um passive Systeme. So gibt es Exoskelette, die die Arme bei Überkopfarbeit oder den unteren Rückenbereich stützen. Letzteres ist zum Beispiel in der Logistik wichtig, etwa bei Packern, aber beispielsweise auch bei Krankenpflegern. Wir sehen erste Ansätze in der Anwendung, aber es bedarf noch weiterer Forschung und Entwicklung in diesem Bereich. 

Was sind weitere Einsatzbereiche von Robotik?
Ich denke zum Beispiel an den Sport, an die Paralympics …

Im Sport handelt es sich oft um rein technische Systeme, zum Beispiel um die bekannten Prothesen, die Unterbein und Fuß ersetzen und kraftvolle Sprints oder gar Weitsprünge erlauben. Das konnte man etwa beim Leichtathleten Markus Rehm beobachten, der bei den Paralympics 2021 zum dritten Mal in Folge die Goldmedaille im Weitsprung geholt hat. In anderen Bereichen gibt es aber auch Roboter, die selbst aktiv werden. Solche selbst agierenden technischen Systeme, die im Prinzip universelle Arbeit übernehmen können, sind mittlerweile in vielen Bereichen im Einsatz. Denken Sie zum Beispiel an den Rasenmähroboter oder den Roboter, der in unserer Wohnung saugt und wischt.

„Aktive Exoskelette sind letztlich Roboter, die man am Körper trägt. Sie können ihr Verhalten anpassen oder auch lernen.“

Mal noch ein Stück weitergedacht: Inwiefern können uns Robotik und Künstliche Intelligenz (KI) vielleicht sogar darin unterstützen, die Auswirkungen der Klimakatastrophe möglichst gering zu halten? Wie können wir sie nutzen, um uns ein gutes Weiterleben auf diesem Planeten zu ermöglichen?
Viele in der KI eingesetzte Algorithmen erkennen Muster sehr gut. Das hilft uns beispielsweise bei der Erdbeobachtung dabei, aus Satellitenbildern automatisch Waldbrände oder starke Emissionen zu erkennen. Diese können wiederum als Grundlage dazu dienen, um Umweltschäden zu identifizieren und bestenfalls zu stoppen. KI-basierte Roboter können auch dort helfen, wo große Geräte nicht hinkommen. So sind sie in der Lage, unter Wasser schonend Rohstoffe zu ernten, zum Beispiel Manganknollen zu „pflücken“. Hierfür müssten dann nicht Riesen-Bulldozer zum Einsatz kommen, die den Meeresboden über Jahrzehnte hinweg zerstören. Autonome Roboter können die Erde weiter erforschen, zum Beispiel die Bereiche unter dem Schelfeis. Auf diese Weise könnten sie uns dabei helfen, das System Erde besser zu verstehen, Gefahren zu begreifen und diese zu bekämpfen. KI-basierte autonome Roboter können auch eingesetzt werden, um etwa Windräder im Meer oder Staumauern zur Energiegewinnung aus Wasserkraft zu inspizieren und zu warten. Sie sehen: Es gibt viele Einsatzmöglichkeiten. Wichtig ist es, den Nutzen und den Mehrwert für die Umwelt gut abzuschätzen und – wo nötig – auch in Neuentwicklungen zu investieren. 

„Ich sehe dann ein ethisches Problem, wenn Menschen in ihrer sozialen Funktion ersetzt werden.“

Welche ethischen Probleme könnten sich durch Roboter ergeben? Und wie lässt sich gegensteuern?
Ich sehe dann ein ethisches Problem, wenn Menschen in ihrer sozialen Funktion ersetzt werden. Bereits heute ersetzt ja die Beschäftigung mit dem Smartphone den realen Kontakt zum Menschen. Das ist – jetzt schon! – problematisch. Gehe ich aber von Systemen aus, die den Menschen helfen können, sehe ich ganz andere ethische Probleme: Die Forschung zeigt, dass wir mit sehr viel Aufwand Patienten nach einem Schlaganfall effizient mit robotischen Systemen helfen können – es gibt ausreichend Studien dazu. Nur leider ist der Sprung in die Anwendung sehr teuer. Hier sehe ich ein ethisches Dilemma. Ich werde immer wieder von Betroffenen gefragt, wann sie denn so ein System nutzen können, und ich muss leider sagen, dass es aktuell nur Forschungssysteme sind. Forschung an technischen Systemen ist sehr teuer, ebenso die Entwicklung zum Produkt. Bedürftigen Menschen werden dadurch also mögliche Lösungen vorenthalten. Vielleicht müssen wir hier mutiger werden und auch mal mehr riskieren. •


About Dr. rer. nat. Elsa A. Kirchner

Professor Dr. rer. nat. Elsa A. Kirchner hat im August 2021 die Professur für „Systeme der Medizintechnik“ an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der Universität Duisburg-Essen (UDE) übernommen. Sie leitet außerdem das Team „Interactive Machine Learning” am „Robotics Innovation Center“ des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) und aktuell in Kooperation das Team „Intelligent Healthcare Systems”. In der AG Robotik der Universität Bremen war sie bis 2021 Leiterin des „Brain & Behavioral Lab“. 

www.uni-due.de/smt


Words Elena Winter
Pictures DFKI GmbH, Finn Lichtenberg & Meltem Fischer,  UDE, Frank Preuß, Felix Amsel Zeitakademie