Agentur im Aufbruch aber wohin?

Das war das Motto des diesjährigen Agenturcamps in den Räumen von Sipgate in Düsseldorf. Es gibt keine Agenda und keine Speaker, es ist ein Meet-up für Manager, Inhaber, Visionäre und Spezialisten aus Kreativ-, Kommunikations- und Digitalagenturen. VIVID hat sich mit drei Insidern der Agenturbranche an einen Tisch gesetzt und über die Zukunft und Entwicklungschancen gesprochen.

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VIVID: Wie beurteilt ihr den Standort Düsseldorf für die Kreativindustrie?

Christoph Pietsch: Wir befinden uns hier in NRW im Bauch der deutschen Wirtschaft. Mittelständler und Konzerne haben hier ihre Heimat. Und auch für Agenturen ist Düsseldorf noch immer ein relevanter Standort. Hier gibt es ein Nest an kreativ Schaffenden und ein breites Angebot an renommierten Kulturinstitutionen. Allerdings müssen wir am Ball bleiben, gerade wenn man nach Hamburg, Berlin oder in Richtung europäischer Wirtschafts- und Kulturepizentren schaut. Düsseldorf hatte, was den Agenturstandort betrifft, auch schon mal bessere Zeiten. Ich glaube, es ist Zeit, als Industrie gemeinsam und bewusst für eine zukunftsorientierte Veränderung der Situation zu sorgen, um nach wie vor eine der Metropolen der Kreativindustrie zu bleiben.

Phillip Böndel: Mal abgesehen von der hohen Lebensqualität fällt mir immer wieder auf, wie viele kluge Köpfe es hier gibt. Was der Stadt ein bisschen fehlt, ist es, diese Synergien auch zu bündeln. Glücklicherweise passiert da gerade, dank Veranstaltungen wie dem Agenturcamp oder Creative Hive wirklich viel in der Stadt.

VIVID: Wie verändern sich die Verhältnisse zu Kunden in einer Zeit, die immer schnelllebiger und wechselhafter ist?

Gabriele Willeczelek: Wir betreuen unsere Kunden teilweise seit 25 Jahren. Klar verliert man auch mal Kunden, das ist normales Agenturgeschäft. Glücklicherweise zeigen meine Mitarbeiter immer sehr hohes Engagement und knien sich richtig rein. Ich bin der Meinung, dass gesunder Menschenverstand, ein kommunikatives Miteinander und am Puls der Zeit zu bleiben, der Schlüssel zum Erfolg sind.

Phillip Böndel: Lange Kundenbindung ist für beide Seiten ein großer Gewinn. So kann man ein tieferes Verständnis für die Marke und die Zielgruppe entwickeln. Wir begleiten Kunden wie Das Örtliche oder die Stadtwerke Düsseldorf zum Beispiel seit über zehn Jahren. Wir glauben, dass es wahnsinnig wichtig ist, eine Marke zu inhalieren und nicht nur oberflächlich zu betrachten. Wir haben den Anspruch, als Partner wahrgenommen zu werden. Zahlreiche Kreativagenturen beschweren sich darüber, dass sie oftmals nur bis zum Marketingleiter kommen und nicht mit der Geschäftsführung oder dem Vorstand kommunizieren. Die Frage ist, wie viele Kreativagenturen sich diesen direkten Zugang zur Spitze eines Unternehmens auch verdienen. Oftmals fehlt eine tief gehende inhaltliche Auseinandersetzung. Diese ist aber wichtig, wenn wir zukünftig an Mehrwerten gemessen werden wollen. Also auch dem mittel- bis langfristigen Wert, den wir dem Unternehmen oder der Marke durch unsere strategische und inhaltliche Arbeit geben. Dafür müssen wir weit über Layouts, Funkspots und TV-Spots hinaus denken.

Christoph Pietsch: Nicht nur die Beziehungen, sondern die Bedeutung des Marketings bzw. die Relevanz unserer Fertigkeiten haben sich verändert. Warum gelangen wir immer seltener an Unternehmenslenker und CEOs? Das hat Gründe. Die Herausforderungen sind heute nicht mehr unbedingt rein kommunikativer Natur: unternehmensstrategische, kulturelle Weiterentwicklung, Infrastruktur, komplexe IT-Prozesse, digitale Evolutionen. Wir haben viele Dinge zu spät wahrgenommen oder verpennt. Als kreativ-strategische Berater verstehen wir Verbraucher, haben Insights über Konsumenten und wissen am Ende, wie wir Menschen mit Markenbotschaften erreichen. Kreativität ist dabei immer das Instrument zur Transferleistung. Und dazu braucht es Spezialisten. Ob in der digitalen oder der physischen Welt. Auch die Agenturbranche steckt in einem anhaltenden Evolutionsprozess.

VIVID: Wie wird man digital innovativer? Wie digital muss eine Kreativagentur heute sein?

Christoph Pietsch: Es geht nicht immer „nur“ um Digitalität. Umfassendes Denken ist wichtig. Die Agenturlandschaft muss sich so verändern, dass man Dritte in seinem Umfeld zulässt. Cross-Industrie, agentur-übergreifend arbeiten, es gibt viele kluge Menschen aus marketingfremden Bereichen und die brauchen wir, um beste Ergebnisse und Lösungen zu entwickeln. In einer idealen Welt haben wir diverse Intelligenz im Haus. Auch aus kaufmännischen Gesichtspunkten lässt sich das aber nicht immer abbilden. Die komplexen, teils globalen Projekte und Her­ausforderungen unserer Kunden erfordern allerdings Expertise, die wir nicht permanent in unseren Systemen vorhalten können. Und es gibt eben auch Spezialdienstleister, die in Teilbereichen einfach besser sind. So ehrlich müssen wir mit uns sein. Hier gilt sinngemäß: „If you can’t beat them, join forces with them.“

„Auch die Agenturbranche steckt in einem anhaltenden Evolutionsprozess.“


Phillip Böndel: Der entscheidende gedankliche und strukturelle Schritt ist, „digital“ als selbstverständlich zu verstehen. Früher hatten Agenturen Abteilungen, die nannten sich „neue Medien“. Diese Abteilungen haben dann versucht, mit Internetagenturen mitzuhalten. Das hat natürlich nicht funktioniert, denn Internetagenturen waren viel schlanker und damit sowohl günstiger als auch schneller. Wir bei BUTTER. sehen Digitalagenturen hingegen nicht mehr als Wettbewerber, sondern als Partner. Unsere Digitaleinheit, die nur aus Spezialisten besteht, braucht dieses Ökosystem aus qualifizierten Partnern, um unsere Kunden bestmöglich beraten und bedienen zu können. So stellen wir eine höchstmögliche Qualität sicher, die aus eigener Kraft heraus nicht möglich wäre.

VIVID: Haben sich Kreativagenturen schon genug gewandelt und auf die neuen Herausforderungen und Prozesse reagiert?

Gabriele Willeczelek: Wir arbeiten viel für Mittelständler. Wir arbeiten direkt und eng mit den Inhabern zusammen und wir merken immer mehr, dass auch unsere Beratungsleistung gefragt ist. Es geht nicht mehr nur darum, mal eben eine Website zu bauen. Es geht noch viel weiter: Wie bekomme ich die Leute auf die Website, wie unterstützen wir den Vertrieb etc.? Wir sind nicht mehr nur Kreative im gestalterischen Sinne, sondern es geht auch ganz stark rein in die Prozesse.

Phillip Böndel: Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Wir waren bei den Stadtwerken Düsseldorf jahrelang die Agentur mit den tollen Statdtteil-Plakaten. Inzwischen sind wir auch Teil von Vorstandsrunden und entwickeln gemeinsam Mobilitätskonzepte. So haben wir unter anderem einen Teil dazu beigetragen, dass hier heute Eddys durch die Stadt fahren. Das sind sicherlich Dinge, die man so bei einer Kreativagentur vor fünf oder sechs Jahren nicht verortet hat. Wir sind weit mehr als nur Kreativpartner.

Wenn jemand frei braucht, dann bespricht man im Team, wie das realisiert werden kann.
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VIVID: Arbeitswelten ändern sich auch. Gesellschaftliche Realitäten verschieben sich. Angestellte fordern Homeoffices ein. Wie bleibt man als Kreativagentur ein attraktiver Arbeitgeber?

Gabriele Willeczelek: Bei uns ist das System flexibel. Wenn jemand frei braucht, dann bespricht man im Team, wie das realisiert werden kann. Für mich als Geschäftsführerin muss ich dann schauen, wie wir den Job gewuppt bekommen. Ich kann ja nicht sagen, ihr müsst das jetzt alle für den Kollegen mitmachen. Wir regeln das auch über freie Mitarbeiter. Unsere Mitarbeiter arbeiten gerne bei uns, wir sprechen miteinander, deshalb haben wir bisher immer eine Lösung gefunden, mit der alle glücklich waren.

Phillip Böndel: Wir haben Kernarbeitszeiten, Homeoffice ist bei uns eine flexible Variante. Das Modell hat sich nicht negativ auf die Produktivität ausgewirkt. Im Gegenteil. In unserer Branche können wir aufgrund der bekanntlich überschaubaren Margen keine wahnsinnig hohen Gehälter zahlen, entsprechend muss man den Leuten etwas anderes bieten. Es gibt allerdings einen Punkt, der häufig missverstanden wird, wenn es um die neue Generation der Arbeitnehmer geht. Natürlich wollen viele eine gute Work-Life-Balance und höchstmögliche Flexibilität, sie wollen aber auch nach wie vor Karriere und Kohle. Bedeutet: Möglichkeiten, sich zu entwickeln und aufzusteigen. Das oft zitierte Märchen von dem Individualisten, der eigentlich nur auf Bali eine Strandbar aufmachen will, ist unserer Meinung nach falsch. Ob wir einen Yogakurs anbieten oder nicht, ist einem Arbeitnehmer egal, wenn er irgendwo anders 500 Euro mehr und eine beruflich bessere Perspektive bekommt.

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Christoph Pietsch: Für einen Job in einer Agentur muss man ein Stück mehr Passion mitbringen, als es vielleicht der Bankkaufmann haben muss (der gilt hier als Platzhalter). Bezüglich der Arbeitszeiten geht es bei uns um Verantwortung. Den Kollegen und den Kunden gegenüber. Das muss gegeben sein. Bällebäder und Sportkurse machen uns nicht besonders. Ich glaube fest daran, dass Agenturen ein besonderes Arbeitsumfeld bieten, und bin täglich dankbar für das, was wir da tun dürfen. Wir dürfen uns immer wieder mit unternehmensverändernden Prozessen und mit Kreativität beschäftigen, international arbeiten, das ist ein großes Geschenk. In unserer Berliner Agentur sind beispielsweise 18 Nationalitäten und Kulturen um große Markenaufgaben versammelt, das ist doch großartig. Kollegen aus Chile oder Brasilien dabeizuhaben und mit ihnen arbeiten zu können, unterschiedliche Blickwinkel und Per­spektiven zu verstehen, ist ein Geschenk. Der kulturelle Kontext liefert ganz andere neue und inspirierende Impulse. Ich mache mir keine Sorgen, dass wir auch zukünftig tolle Leute finden werden, die das Leben in einer Agentur schätzen. Nichtsdestotrotz müssen wir auf Veränderungen der Bedürfnisse bei potenziellen Arbeitnehmern reagieren.

VIVID: Ein großes Thema: Pricing! Im Moment arbeiten die meisten Agenturen zeitbasiert. Muss die Zukunft nicht wert­basiertes Arbeiten sein?

Phillip Böndel: Wir Agenturen brauchen mehr Selbstbewusstsein und Haltung in den Verhandlungen. Eine zusätzliche erfolgsabhängige Vergütung wäre so ein Punkt. Wir sind zum Beispiel gerade im Gespräch mit einem Lebensmittelkonzern, der mit uns gemeinsam eine gänzlich neue Marke kreieren und etablieren möchte. Wieso sollte man in diesem Kontext nicht auch drüber sprechen, neben der regulären Agenturvergütung auch unmittelbar am Erfolg beteiligt zu werden? Es gibt sicherlich viele denkbare Konstellationen, die den Wert unserer Arbeit besser erfassen und vergüten als das altbekannte Stundenmodell.

Gabriele Willeczelek: Wertbasiertes Abrechnen ist mehr als spannend. Allerdings müssen wir darüber nachdenken, wie wir das dem Kunden kommunizieren. Du kannst nicht einfach sagen: Okay, unterschreibe mal die Summe, wenn er vorher gewohnt war, Stunden in Rechnung gestellt zu bekommen. Ich denke aber schon, dass der Kunde wertbasiertes Abrechnen nachvollziehen kann, wenn wir plausibel kommunizieren.

Christoph Pietsch: Wir haben es als Industrie ganz gut verstanden, uns die Preise selber kaputt zu machen. Die Branche hat sich gemeinsam an Grenzen unterboten, die wir heute als Gesamtmarkt nicht mehr eingefangen bekommen. Wir müssen neue Fertigkeiten aufbauen, Kreativität im neuen Kontext anwenden. Wir müssen Wertschöpfungsfelder neu definieren. Digitalität ist ja auch nur ein weitreichendes Themenfeld, das zur Veränderung führt. Anforderungen im Bereich Kultur, Human Capital, interne Kommunikation sind ein weiteres. Wo lässt sich wertschöpfender Regelbruch einbringen? Wir müssen in Produkt- bzw. Serviceentwicklung und Innovationen denken. Nehmen wir Just Spices, ein junges Unternehmen hier aus der Stadt. Die Gründer sind eigentlich „Kreative“. Die haben die große Vision, den Gewürzmarkt weltweit zu revolutionieren, und schaffen das auch, da bin ich mir sicher. Idee, Marke, Mission, Produkt und Co. könnten in der Theorie allerdings auch von Agenturen stammen. Solange die Gattung jedoch ausschließlich für Werbung und Endverbraucherkommunikation gerufen wird, so lange wächst das Wertschöpfungs-, Talent- und Reputationsproblem. Es gibt viel zu tun. ●

Die Teilnehmer
Gabriele Willeczelek

Inhaberin und Geschäftsführerin Graphix Düsseldorf GmbH
www.graphix-duesseldorf.de


Christoph Pietsch
Chief Marketing Officer 

DDB Group Germany
www.de.ddb.com/#/duesseldorf

Phillip Böndel
Geschäftsführer Beratung Digital Agentur Butter.
www.butter.de

Rainer Kunst
Herausgeber der VIVID und Inhaber von Kunst und Kollegen
Kommunikationsagentur GmbH
www.rainerkunst.com


Das Agenturcamp
Branchentreffen für Inhaber, Manager, Spezialisten und Querdenker. Die Teilnehmer selbst bestimmen beim Start gemeinsam die Themen. Durch dieses offene Tagungsformat entsteht ein vielfältiges Programm aus Vorträgen, Diskussionen und Workshops. Das Motto: 
Treffen. Teilen. Machen.
www. dasagenturcamp.de


Text: Britt Wandhöfer
Bilder: Franz Schuier