Wer braucht denn einen Schreibtisch?
Arbeiten jenseits des Schreibtisches: Open-Space-Büros sollen mit flexiblen Arbeitsplätzen, Ruhezonen und Kommunikationsbereichen die Produktivität und Transparenz innerhalb eines Unternehmens erhöhen. Das Ziel? Motivierte Mitarbeiter und beschleunigte Arbeitsprozesse. Dazwischen liegt aber ein langer Lernprozess.
Mobiles Arbeiten boomt. Homeoffice und Coworkingspaces sind vielerorts akzeptierte Alternativen zum festen Arbeitsplatz. Aber auch innerhalb eines Unternehmens gewinnt losgelöstes Arbeiten an Bedeutung. Die Rede ist von sogenannten Open-Space- Konzepten: offenen Bürolandschaften, die dank Besprechungsräumen, Loungebereichen und Thinktanks konzentriertes Arbeiten auch außerhalb des Schreibtisches möglich machen. Open Space verspricht Freiheit und Freiräume. Die Mitarbeiter sind nicht mehr an einen festen Arbeitsplatz gebunden, sondern arbeiten flexibel immer wieder an einem anderen Ort. Es gibt einfache Ablageflächen für das Notebook und ein paar Arbeitsutensilien. Der Raum ist offen und wird durch Abschirmungen oder Pflanzen strukturiert. Je nach Raumkonzept gibt es für verschiedene Abteilungen spezielle Bereiche, aber zugleich auch Ruheecken, in denen die Mitarbeiter Kaffee trinken können oder telefonieren. Zwar ist in den Köpfen der meisten Menschen fest verankert: Wenn ich am Schreibtisch sitze, bin ich produktiv. Es wächst aber eine Generation heran, die mit dem Laptop auf dem Sofa mindestens ebenso produktiv ist. Dem müssen Unternehmen heute entsprechen.
Noch ist diese offene Form des Büros hierzulande aber nicht weit verbreitet. Laut einer Umfrage des Büroeinrichtungsunternehmens Steelcase arbeiten heute mehr als die Hälfte der Angestellten in Einzelbüros, nur 19 Prozent sitzen in Großraumbüros. Es sind vor allem Großunternehmen aus der Kommunikationsbranche, die auf dieses Arbeitskonzept setzen. Und Vorreiter des New Work wie Google, Microsoft, Dropbox oder Airbnb. Was alle ihre Büros gemeinsam haben: Neben dem Bereich für konzentriertes Arbeiten, also dem stationären Arbeitsplatz, steht das kommunikative Arbeiten im Mittelpunkt. Denn bei Open Space geht es vordergründig um Transparenz und beschleunigten Informationstransfer. Dieser kann formell und klassisch im geschlossenen Meetingraum stattfinden oder informell als Inszenierung der zufälligen Begegnung in der Kaffeeküche, am Kopierer oder in der Poststelle. Die werden räumlich so intelligent verteilt, dass sich bestenfalls verschiedene Unternehmensbereiche treffen. Schließlich dürfen Rückzugsorte wie Cafeterias, Loungeflächen oder Außenbereiche nicht fehlen. Diese Komposition aus Konzentration, Kommunikation und Rekreation macht das idealtypische Büro aus.
Der erste Schritt zum Open Space lautet: Wände einreißen. „Wände sind Barrieren und Barrieren halten Menschen davon ab, kreativ zu sein“, sagt Britta von Lackum, Innenarchitektin bei Vitra. Durch Bodenbeläge, Deckenausrüstungen und absorbierende Maßnahmen wird die Akustik positiv beeinflusst. Verschiedene Bodenniveaus, Vorhänge und flexibel verschiebbare Paneele strukturieren und optimieren gleichzeitig die Lautstärke. So werden Zonen geschaffen und Nachbarschaften gebildet. Denn: Eine Open-Space-Fläche ist kein Großraumbüro. Sie ist eine Landschaft mit Bereichen, in denen man sich zugehörig, geborgen und geschützt fühlt, und öffentlichen Räumen. Damit man Letztere als Mitarbeiter auch betritt, werden Papierkörbe und Drucker vom Arbeitsplatz verbannt.
In der Vitra-Zentrale in Weil am Rhein stehen auf 2.200 Quadratmeter zwei Drucker – einer links, einer rechts. 190 Mitarbeiter müssen sich so in Bewegung setzen, wenn sie etwas drucken wollen. Sie treffen sich und sprechen dabei über ihre Projekte. Schon ist ein wertvoller Begegnungsort geschaffen.
Die wichtigste menschliche Voraussetzung für das mobile Arbeiten ist ein offenes Mindset, das ganz klar bei der Führungskultur anfängt. Unternehmer müssen vertrauen, dass die Kollegen auf dem Sofa sitzen und gleichzeitig effizient sind. Zugunsten des Wissenstransfers müssen Mitarbeiter schließlich auf Privatsphäre verzichten. Bei der Unternehmungsberatung Heithoff & Companie in Münster setzt man sich bereits seit vielen Jahren mit mobilem Arbeiten auseinander. „Man muss sich entscheiden: Will man massive Transparenz und Kommunikation oder Konzentration und Kontemplation“, sagt Geschäftsführer Jörg Heithoff. Es reiche nicht, eine Architektur mit tollen Sofalandschaften und Rückzugsorten hinzustellen. Menschen müssen lernen, sich in der neuen Büroform zu bewegen. Wann stehe ich auf? Wann entferne ich mich vom Arbeitsplatz? Und sich neue Verhaltensweisen aneignen, etwa beim Telefonieren in der Telefonzelle oder der Besprechung im Stehen am höhenverstellbaren Tisch. Mobilität muss von der Unternehmensführung vorgelebt werden. Vitra-CEO Nora Fehlbaum etwa hat ihr eigenes Büro aufgegeben, um ins Open-Space-Büro zu ziehen. Für diskrete Gespräche hat sie einen Besprechungsraum, den in ihrer Abwesenheit jeder andere Mitarbeiter nutzen kann. Change Manager unterstützen den Lernprozess und implementieren die Veränderungen. Das Düsseldorfer VDI Wissensforum ist ein Beispiel, wie gut dieser Transformationsprozess gelingen kann. 2016 begann ein Change Team, die Räumlichkeiten für die 140 Mitarbeiter in ein kreatives Umfeld zu verwandeln. Es wurden Scrum-Räume geschaffen, eine Bibliothek, eine große Küche und ein Wohnzimmer mit Playstation. Gleichzeitig wurde die Duzkultur eingeführt und wurden Hierarchien aufgebrochen. Dabei flossen die Ideen aller Mitarbeiter ein, das Miteinander wuchs. „Die Arbeitsatmosphäre ist fröhlicher, offener, herzlicher geworden. Alle Bereiche wachsen mehr zusammen“, stellt Lena Jessen, Projektreferentin der Geschäftsführung, fest.
Neben dem erhöhten Motivationsfaktor hat ein Open Space aber auch Vorteile in Sachen Effizienz und Geschwindigkeit: Mehr Agilität, verkürzte Arbeitswege und schnellere Entscheidungen. Flexible Open-Space-Flächen können sich schneller auf Veränderungen im Unternehmen einstellen und strahlen Modernität und Offenheit aus – ein Entscheidungskriterium für potenzielle neue Fachkräfte. Ein Büro ist schließlich ein wichtiger Bestandteil einer unternehmerischen Entscheidung. ●
Autor: Karolina Landowski