Motivation durch Emotion

Farbe kann Produktivität und Regeneration steigern, Arbeitsräume strukturieren und das Image eines Unternehmens prägen. Als Artdirectorin bei Vitra untersucht die Designerin Hella Jongerius die vielfältigen Eigenschaften der Farben und Materialien. 

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Die Wirkung von Farbe am Arbeitsplatz ist nicht zu unterschätzen. Farbe spiegelt die Firmenphilosophie wider und sorgt für Wohlbefinden im Büro. Sie kann Motivation und Freude an der Arbeit steigern. Farben haben nicht nur Einfluss auf unsere Stimmung und unser Wohlbefinden, die farbliche Ausstrahlung bestimmt auch Identität und Wahrnehmung eines Unternehmens. Eine kreative Werbeagentur, in der unkonventionelles Arbeiten gefragt ist, verlangt andere Farblösungen als ein DAX-Konzern. Mobile Farbelemente und unterschiedliche Farb- bis hin zu ganzen Erlebniswelten können in einem Bürokomplex gezielte Emotionen, Sinneseindrücke oder ein gesamtes Corporate Design transportieren. Die Grenzen von Berufs- und Privatleben werden dabei immer fließender. Das Büro wird wohnlicher, Emotionalität und Individualität sind gefragt. Und kaum etwas schafft mehr Emotionen als Farbe. Bereits für die Wirkung eines einzelnen Büromöbels sind Farben und Oberflächen entscheidend. Bürostühle, Regale und Teppiche als Farbakzent bestimmen nicht nur den ersten Eindruck, sie haben auch eine lang anhaltende Ausstrahlung. „Tatsächlich ist zu spüren, dass Kunden wieder offener für Farben werden“, bestätigt auch Hella Jongerius. Die niederländische Designerin beschäftigt sich mit den Eigenschaften und Möglichkeiten von Farben, Oberflächen, Texturen und Materialien. Um die Entstehung inspirierender Interieurs in geschäftlichen, privaten und öffentlichen Räumen zu fördern, hat sie für den Möbelspezialisten Vitra eine eigene Bibliothek für Farben und Materialien geschaffen. 

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Diese Colour & Material Library umfasst Muster von Stoffen, Kunststoffen, Metallen, Hölzern und Lederbezügen und ermöglicht Architekten und Innenarchitekten, lebendige und ausdrucksstarke Einrichtungscollagen für das moderne Büro zu definieren. „In meiner Arbeit als Artdirectorin übertrage ich meine Vogelper­spektive in eine Vision, die ein Unternehmen in eine bestimmte Richtung führt“, sagt Jongerius, die in ihren Arbeiten Industrielles mit Handwerklichem und Tradition mit Moderne verbindet. Welche Beziehung besteht zwischen Form und Farbe? Wann wertet eine Farbe eine Form auf und verleiht ihr eine neue Dimension? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Farbexpertin tagtäglich. 

Generell gilt: Eine ruhige Grundstimmung mit Farbakzenten in ausgewählten Bereichen stellt ein stimmiges Gesamtkonzept für eine Arbeitslandschaft dar. Neutrale Töne als Basis für große Flächen, farbigere Nuancen für Akzente und Orientierung – erst der Mix daraus schafft die gewünschte Atmosphäre. Reizüberflutung durch zu viele oder laute Farben erschwert die Konzentration und fördert Nervosität. Die jeweiligen Funktionsbereiche bestimmen die Farbauswahl: Abhängig von der Aufenthaltsdauer sollten Büroräume farblich ruhiger gehalten sein. Korridore, Treppenhäuser und Sanitärbereiche können lebendige Farbakzente setzen. In kommunikativen Zonen wie Besprechungsräumen, Cafeteria und Pausenbereichen lassen sich Farben entweder energetisierend oder regenerierend einsetzen. Mit Farbe kann man auch die Raumproportionen eines Büros ändern: Wird eine Wand in warm wirkendem Orange gestrichen, wirkt sie näher als eine Wand in kühlem Weiß. Auch eignet sich Farbe ideal, um großflächige Open-Space-Büro­lösungen zu strukturieren.

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Mit der psychologischen Wirkung von Farbe am Arbeitsplatz hat sich eine Studie der Hochschule für angewandte Kunst und Wissenschaft Hildesheim beschäftigt. Ihr Ergebnis: Wo früher Funktion im Mittelpunkt stand, soll heute Atmosphäre für Motivation oder Entspannung sorgen. Denn Farben wirken unmittelbar auf unsere Sinne. Sie können beeinflussen, wie wir kommunizieren, uns konzentrieren oder zur Ruhe kommen können. Durch bestimmte Farben, so die Forscher, soll der Körper bereits unterbewusst merken, was von ihm verlangt wird: Kommunikation, Konzentration oder Erholung. Bei kreativen Denkprozessen sei ein Kontrast zwischen natürlich vertrauter Umgebung und schlichter Präzision wichtig – etwa mit hellen Weiß- und Sandfarben, kühlen und frischen Blau- sowie Grüntönen. Je tiefer das Blau, desto beruhigender. Wer auf Kommunikation setzt, sollte auf der Farbpalette zwischen Rot- bis Gelborangetönen sowie Erd- und Holzfarbtönen wählen. Farben aus dem roten Spektrum wirken besonders anregend und sollten deswegen in Konferenzräumen oder bei Teamarbeit zum Einsatz kommen. Für Team-Meetings gilt das Motto: Je höher die Kontraste, desto anregender die Stimmung. 

Farbkoryphäe Hella Jongerius sieht die psychologischen Ansätze bei der Farbwahl zwiespältig: „Im Kern ist etwas Wahres dran. Aber ich sage meinen Kunden immer: Vertraut auf eure Intuition! Nicht eine einzelne Farbe, sondern die Kombination der verschiedenen Nuancen ist ausschlaggebend für unser Empfinden.“ Farbtrends wie in der Modeindustrie sind für Hella Jongerius pures Marketing, auch auf eine Lieblingsfarbe will sich die Vitra- Artdirectorin nicht festlegen: „Eine Farbe alleine ist gar nichts. Man muss wissen, wofür man sie braucht, in welcher Beziehung sie zu etwas steht, aus welchem Material sie ist. Es gibt da nicht die eine Farbe.“ Sie mag Farben, die man nicht recht zuordnen kann, für die ihr kein Name einfällt, die irgendwie „dazwischen“ liegen: „Ich mag es, wenn man etwas nicht zu fassen kriegt. Obwohl ich schon viel über Farben gelernt habe, habe ich sie noch immer nicht durchschaut. Farbe ist eines dieser wunderbaren Themen, die einen immer ein wenig wie einen Anfänger aussehen lassen. •

Hella Jongerius

studierte nach der Tischlerlehre an der Design Academy Eindhoven und gründete 1993 in Rotterdam ihr Jongeriuslab, über das sie Projekte für Kunden wie Camper, IKEA und KLM umsetzt. Als Art Directorin Farbe und Material ist sie seit 2007 für das Vitra Farbkonzept verantwortlich und entwickelte Designobjekte wie das Polder Sofa oder den Worker Chair. Ihre Arbeiten wurden unter anderem im Design Museum in London, im Stedelijk Museum und dem MoMa in New York gezeigt. Sie veröffent­lichte ein Buch namens „I don’t have a favourite colour“.


Autor: Karolina Landowski