Zwischen ethischer KI und Thomas Mann
Wie werden sich Forschung und Lehre durch die rasanten technischen Entwicklungen mit verändern? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Anja Steinbeck, Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Frau Professor Steinbeck, Sie sind seit November 2014 Rektorin der Heinrich-Heine-Universität (HHU) Düsseldorf. In dieser Zeit ist technologisch viel passiert. Welche Auswirkungen hat das auf die HHU von heute?
Vor allem die Kommunikation mit den Studierenden hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Die organisatorischen Schnittstellen sind zunehmend digital geworden. So findet die Studienberatung heute beispielsweise auch per Whatsapp statt. Auf Instagram und Facebook sind wir schon seit Jahren sehr aktiv. Auf inhaltlicher Ebene hat sich ebenfalls viel getan: In den Curricula der Studiengänge spielt die Digitalisierung eine immer größere Rolle. Als Juristin fällt mir da als Erstes das Stichwort „Legal Tech“ ein, also die stärkere Einbindung von IT, um juristische Arbeitsprozesse zu unterstützen. Ähnlich ist es in der Forschung: So wird vor allem in den Naturwissenschaften immer wichtiger, dass die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit großen Datenmengen umgehen können. Das sind nur wenige Beispiele dafür, wie sich die HHU in den letzten Jahren umgestellt hat, um die Studierenden auf den Wandel in der Arbeitswelt vorzubereiten. Schließlich gibt es inzwischen Forscher, die eifrig twittern, die also ihre Forschung über soziale Medien nach außen tragen.
Lassen Sie uns über das „Modell Universität“ sprechen, wie es womöglich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren aussehen wird! Was ist Ihre Prognose – angefangen mit dem Bereich Forschung?
Viele Prozesse in der Forschung werden weiter automatisiert werden. Dadurch werden Informationen für Wissenschaftler schneller und einfacher zugänglich sein. Die HHU bietet ja keine ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge an – daher finden Sie bei uns auch in Zukunft keine Roboter, an denen geforscht wird. Unser Schwerpunkt im Bereich künstliche Intelligenz liegt eher in den Bereichen Ethik und Recht. Zum Beispiel beschäftigt sich eine interdisziplinäre Forschungsgruppe mit der Entscheidungsfindung mithilfe künstlicher Intelligenz. Hier geht es etwa darum, wer beim autonomen Fahren die Verantwortung trägt. Der Fahrer? Der Fahrzeughersteller? Oder der Programmierer? Die Forscher untersuchen auch, wie ein Mediziner handeln darf, der aufgrund gesammelter Daten eine Therapieempfehlung erhalten hat. Welche ethischen und rechtlichen Maßstäbe sind für Entscheidungen anzulegen, wenn die Technik ins Spiel kommt? Das ist die große Frage. Ich vermute und hoffe, dass wir in einigen Jahren in dieser Hinsicht weitergekommen sind.
Onlinevorlesungen gibt es ja bereits. Wie wird sich die Lehre ansonsten weiterentwickeln?
Ja, unsere Studierenden profitieren schon heute davon, an Vorlesungen renommierter Professoren auch aus dem Ausland teilzunehmen. Wir selbst bieten ebenfalls einige Veranstaltungen online an und ergänzen sie durch Feedback-Systeme und interaktive Übungsaufgaben innerhalb und außerhalb der eigentlichen Vorlesung. Dadurch entstehen interessante neue didaktische Möglichkeiten. Auch die Zugangsbarrieren zum Studium könnten sich damit in Zukunft verringern, zum Beispiel für Studierende, die berufstätig oder gesundheitlich beeinträchtigt sind. Insgesamt bin ich aber überzeugt, dass die virtuelle Lehre eher eine Ergänzung ist und dass es auch in 100 Jahren noch die klassischen Vorlesungen geben wird: also einen Ort, an dem Menschen gemeinsam lehren und lernen. Das ist die Grundidee der Universität und die wird auch in Zeiten der Digitalisierung nicht aussterben.
Heute sind wir es gewohnt, auf Informationen schnell zugreifen zu können. Vieles lässt sich per Mausklick recherchieren. Was bedeutet das für Institutionen wie die Universitäts- und Landesbibliothek?
Das hängt sehr von den einzelnen Fächern ab: In den Rechtswissenschaften, in der Philologie und Philosophie beispielsweise wird das Wissen nach wie vor sehr „buchlastig“ vermittelt. Ich denke hierbei auch an historisch bedeutsame Exponate, zum Beispiel die Werke unserer umfangreichen Thomas-Mann-Sammlung. Dieses Wissen, diese besondere Form von Kultur lässt sich so nicht einfach online recherchieren und erfahren! Bei den Naturwissenschaftlern dagegen werden Datenbanken immer wichtiger werden. Aber auch dieses Wissen muss sortiert und verwaltet werden. Daher denke ich, dass uns auch die Bibliothek auf lange Sicht erhalten bleiben wird. Vielleicht wird sie mehr noch als bisher ein Ort der Begegnung werden. Ein Treffpunkt, an dem Wissen auf verschiedene Weise zugänglich gemacht und ausgetauscht wird.
Wie steht es mit dem Studienangebot der HHU als Folge der Digitalisierung? Zum Wintersemester 2019/20 wird ja zum Beispiel ein neuer Master eingerichtet …
„Artificial Intelligence and Data Science“ heißt der Studiengang. Wir reagieren damit auch auf die Anforderungen des Arbeitsmarkts: Es gibt nicht genügend Menschen, die sich mit Themen wie künstlicher Intelligenz wirklich gut auskennen. Da haben es schon viele Firmen schwer, die passenden Kräfte zu finden. Mit den entsprechenden Studiengängen können wir sie ausbilden. Aber wir möchten diese Menschen natürlich auch an der Uni halten und sie weiter für die Forschung begeistern. Diese Situation ist insgesamt eine Herausforderung – für die Hochschulen und für die Wirtschaft gleichermaßen. Neben spezifischen Studiengängen wie diesem richten wir demnächst auch ein Modul „KI für alle“ ein, das Studierenden aller Fakultäten ein Basiswissen vermittelt und ihnendabei hilft zu beurteilen, wie KI-Methoden in der Forschung eingesetzt werden können.
Wie blicken Sie als Rektorin der HHU insgesamt in die Zukunft? Wie geht die HHU mit den Herausforderungen und Chancen um, die sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auftun werden?
Ich bin sicher, dass wir als Universität mit den Entwicklungen mithalten und sie auch mitgestalten können. Das Ideal der Universität, junge Menschen zu selbstständigen Persönlichkeiten auszubilden, gilt es zu bewahren. Hierzu sollten wir alle zeitgemäßen Mittel bereitstellen. •
Digitale Hochschule NRW
Um die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern, haben sich 42 Universitäten, Fach-, Kunst- und Musikhochschulen aus NRW im September 2016 mit dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW zusammengeschlossen. Für die Handlungsfelder Studium & Lehre, Forschung und Infrastruktur & Management entwickeln sie Strategien, stoßen Projekte an und fördern gemeinsame Aktivitäten.
Autor: Elena Winter