Schöne neue Welt
Virtual Reality ist das neue Medium, das wahrscheinlich bald unsere Wohnzimmer erobern wird. VIVID sprach mit den VR-Machern Christoph Bucher und Jan Thiel von A4VR sowie mit Sabine Falke, Unternehmerin und Executive Business Coach, über den Status quo einer zukunftsträchtigen Branche.
A4VR, eins der führenden Unternehmen weltweit, was Virtual Reality angeht, sitzt in einem Hinterhof auf der Düsseldorfer Kronprinzenstraße. Christoph Bucher arbeitet hier als COO. In seinem Büro läuft leise Musik, die erstaunlicherweise von einem Plattenspieler kommt. Scheinbar zelebriert man bei A4VR zuweilen doch noch das Analoge – bis man begeistert auf das Digitale zu sprechen kommt. „VR ist das letzte Medium“, schwärmt Christoph. „Man kann steuern, was du siehst und was du hörst, alles in 360 Grad. Mehr geht nicht!“
Genau diese Begeisterung für Virtual Reality führt im März 2015 dazu, dass sich A4VR gründet. „Im Rahmen einer Veranstaltung bekam ich eine VR-Brille aufgesetzt und war sofort total geflasht. Ich dachte: ‚Das muss ich unbedingt selbst machen!‘“, so Jan Thiel, Co-Founder von A4VR. Dazu holt er sich Partner aus den verschiedensten Medienberufen ins Boot; später kommen noch Programmierer hinzu, meist junge Absolventen der MDH, einer Game- Design-Hochschule in Düsseldorf.
„VR ist ein sogenanntes immersives Medium, das heißt allumfassend. Man kann mit ihm alle Sinne miteinschließen und damit kontrollieren“, erklärt Christoph Bucher. „Daher wollten wir das Medium mit aller Kraft begreifen, multi-immersiv sein, d.h. auch die Haptik, Bewegung und z.B. den Geruch mit einzubeziehen.“ Ein gutes Beispiel für „multi-immersiv“ ist ein Projekt, das A4VR auf der Cebit 2018 in Kooperation mit seinem Kunden Vodafone inszenierte: In einem 15m x 15m Cube stellte das Start-up eine Reise zum Mond nach, indem es Haptik, Temperatur, Wind, 3D-Sound und bewegliche Sitze in einer VR-Erfahrung kombinierte. Oder die Dauerausstellung Timeride in Köln, in der A4VR eine Straßenbahnfahrt durch die Kölner Altstadt der Kaiserzeit in VR simuliert hat. Die Besucher nehmen im Nachbau einer originalen Straßenbahn von 1900 Platz, spüren die Vibrationen, den Fahrtwind und tauchen so in die Lebenswelt von damals ein. Es gehöre sehr viel Kreativität dazu, solche „Experiences“ zu entwickeln, fügt Jan Thiel hinzu. „Ich würde sogar sagen, dass wir eine Kreativagentur sind, die Geschichten erzählen möchte. Wir arbeiten immer an der Grenze des technisch möglichen. Dazu müssen wir auch schonmal neue Geräte entwickeln, die wir im 3-D-Drucker herstellen.“ Diese grenzen- lose Kreativität und den Innovationswillen von A4VR schätzen immer mehr Kunden, weltweit und in vielen Feldern.
Aber nicht nur im Business-Bereich ist VR auf dem Vormarsch. „Es kommt bald eine neue VR-Brille auf den Markt, die komplett ohne Computer arbeitet. Diese Brillen werden nur zwischen 350 und 400 Euro kosten, aber trotzdem die komplette Bandbreite von VR haben“, so Christoph Bucher. Dem Retail-Bereich und der Werbung eröffne das völlig neue Möglichkeiten. „Das gilt auch für Bildung und Training, vor allem in der Industrie. Hier wird VR genutzt, um die Bedienung komplexer Maschinen zu erklären. Oder man kann Zoos simulieren und damit Tiere schützen. Und Instrumente spielen, was allerdings nicht so einfach umsetzbar ist. Die Haptik-Simulation in VR ist ultrakomplex“, weiß Jan Thiel.
Eine Herausforderung, mit der sich auch die Unternehmerin Sabine Falke beschäftigt. Die ausgebildete Versicherungskauffrau hat Kunstgeschichte und Politik studiert und arbeitet nach vielen Jahren in der Versicherungsbranche als Executive Business Coach. Sie entstammt der Klavierbauer-Dynastie Ibach und übernahm 2005 das Familienunternehmen. „Ich fragte mich seinerzeit, wohin die Reise geht. Die Branche war schon lange im Umbruch und auch unser Unternehmen in schwierigem Fahrwasser“, erzählt sie. Daher war sie auf der Suche nach einer innovativen Idee, um Ibach Klaviere in die Zukunft transportieren zu können, stellte aber fest, dass das Segment Klavierbau relativ innovationsarm ist. Nach langen Überlegungen entschließt sie sich, die Produktion bei Ibach einzustellen, „da ich mich allerdings immer in innovativen Kreisen bewegte und dort auch viele Gespräche führte, kam mir irgendwann die Idee zu diesem Projekt“. Es beinhaltet eine Softwarelösung, mit der es möglich ist, in VR Klavier zu spielen, „und einen Datenhandschuh, der die Hände im virtuellen Raum sichtbar macht, gleichzeitig aber auch ein haptisches Feedback erzeugt. Um richtig spielen zu können, braucht es das", erklärt Sabine Falke. „Klavierspiel – alleine oder mit anderen – Zeit-, Orts- und von einem physischen Instrument unabhängig gleichzeitig für jeden zugänglich zu machen, das ist meine Vision.“ Momentan ist dieser virtuelle Klavierhandschuh noch in der Entwicklung. „Das Haptische ist eine große Herausforderung, aber es gibt große Entwicklungssprünge in VR. Daher glaube ich fest daran, dass der Handschuh funktionieren wird“, so Sabine Falke.
„Ein Datenhandschuh, der die Hände im virtuellen Raum sichtbar macht.”
Sabine Falke Executive Business Coach
Auch sie arbeitet mit Kooperationspartnern zusammen. Dazu gehören Prof. Christian Geiger aus dem Fachbereich Medien der FH Düsseldorf und Studenten der HSD. Sabine Falke selbst fungiert als Ideenentwicklerin im Projekt und bringt natürlich auch ihr Know-how aus der Klavier-Branche mit ein, kümmert sich um Geldgeber und Investoren. „Außerdem möchte ich beweisen, dass man mit einer neuen Geschäftsidee auf ein altes Konzept aufbauen kann“, unterstreicht sie. Trotz ihrer Begeisterung für das Medium, sieht Sabine Falke VR auch kritisch. „Bei der Digitalität stellt sich immer die Frage, wie weit man sich während der Nutzung von seinen Mitmenschen entfernt. Natürlich sehe ich da auch eine Suchtgefahr. Andererseits gibt es Unmengen von sehr spannenden Ideen, VR auch sinnvoll zu nutzen. Da werden noch viele tolle Dinge entwickelt werden.“
Auch A4VR sieht durchaus kritische Aspekte bei VR. Gibt es Projekte, die das Start-up nicht umsetzen würde? „Wir arbeiten nicht mit der Tabak- oder der Rüstungsindustrie. Und natürlich war die Pornoindustrie sofort sehr interessiert an unserer Arbeit. Wir haben deren Anfragen aber abgelehnt, weil man sich ansonsten für seriöse Kunden verbrennen kann“, so Jan Thiel. „Selbstverständlich sehen auch wir eine Kontrolle der Sinne, z.B. durch die Werbung, kritisch. Daher wollen wir auch positive VR machen!“
Firmenstandort wird dabei definitiv Düsseldorf bleiben. „Hier sitzen große Kunden, wichtige Agenturen und viele Entscheider, die präsent und ansprechbar sind. Außerdem bekommen wir viel Unterstützung von der Kreativ- und Wirtschaftsförderung“, freut sich Jan Thiele.
Auch was den Umsatz angeht, ist man bei A4VR mehr als zufrieden. „Wir haben uns komplett aus eigenen Mitteln finanziert und schon einen Whirlpool, allerdings aus dem Bauhaus“, lacht er. „Aber in erster Linie geht es uns tatsächlich um die Mitgestaltung eines völlig neuen Mediums – das ist das Größte.“ •
Autorin: Katja Vaders
VIVID 03 | 2019
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