One City for All

Wie muss eine Stadt gestaltet werden, um ein Ort zu sein, an dem sich alle wohlfühlen? Eine zeitgemäße Stadtplanung rückt die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Geschlechter, Altersgruppen und Kulturen in den Mittelpunkt.

Gender, unterschiedliche Altersgruppen und Kulturen: Städte sollen den Bedürfnissen aller gerecht werden.

Stadtplanung ist immer eine Frage der Perspektive. Und die war zur Nachkriegszeit, als viele deutsche Städte neu aufgebaut wurden, in erster Linie männlich. „Frauen waren im Grunde nicht involviert, es sind Paradigmen und Vorstellungen entstanden, die sich wortwörtlich in Grund und Boden verfestigt haben“, erklärt Dr. Mary Dellenbaugh-Losse. Die Stadtforscherin macht deutlich, welche Herausforderungen sich heute daraus ergeben: „In den 60ern lag der Fokus darauf, eine Verkehrsinfrastruktur zu schaffen, die es ermöglicht, schnell zur Arbeit zu kommen. Einfache, sichere Wege zum Einkauf oder zur Bewältigung von Aufgaben im Rahmen der Care-Arbeit, dazu zählt insbesondere die Kinderbetreuung, wurden kaum mitgedacht. Das wird der gesellschaftlichen Realität von heute nicht mehr gerecht.“


Spielplätze bieten viel mehr Potenzial zum kommunikativen Spiel, als häufig genutzt wird.

Deswegen entwickelt Dellenbaugh-Losse als Geschäftsführerin von Urban Policy mit ihrem Team Lösungen für lebenswertere Städte, die alle einbeziehen – insbesondere jene, die bei der früheren Stadtentwicklung unterrepräsentiert waren. Dazu zählen neben Frauen auch Kinder oder ältere Menschen. „Für uns stehen die Zugänglichkeit, Sicherheit und Nutzerfreundlichkeit für alle im Mittelpunkt“, erklärt sie. Eine Treppe ohne Rampe, Angsträume wie schlecht beleuchtete Unterführungen oder zu schmale Gehwege, die das sichere Passieren mit Kind erschweren, seien nur Beispiele für das, was besser gelöst werden könne. „Wir müssen auch öffentliche Räume neu denken, hin zu konsumfreien Orten, an denen ich mich niederlassen kann, ohne einen Kaffee kaufen zu müssen.“ Grünflächen müssten generationsgerecht verteilt werden: „Ältere sehnen sich nach kleinen ruhigen Oasen, während Jugendliche Plätze brauchen, an denen sie laut sein dürfen.“ Eine sinnvolle Zonierung sei entscheidend, um allen gerecht werden zu können. Und: Es geht immer darum, sich in andere Perspektiven hineinzuversetzen. „Klassische Sitzbänke sind für Kinder zu hoch, Älteren könnte eine Armlehne beim Aufstehen helfen. Auf Spielplätzen erobern Jungs meist das zentrale Objekt in der Mitte, während sich die Mädchen am Randbereich aufhalten. Es gilt, weniger stereotyp zu denken und Angebote zu schaffen, die zum kommunikativen Spiel miteinander einladen. Warum nicht eine Klangwand installieren, an der Jungs und Mädchen gemeinsam Krach machen?“, so Dellenbaugh-Losse.


ABOUT DR. MARY DELLENBAUGH-LOSSE

Als Stadtforscherin, Beraterin und Autorin mit den Schwerpunkten soziale Inklusion, Bürger:innenbeteiligung und Gender arbeitet Dr. Mary Dellenbaugh-Losse unter anderem mit Behörden, Stiftungen, NROs und Non- Profit-Organisationen zusammen. In ihrem neuen Buch „Gendergerechte Stadtentwicklung: Wie wir eine Stadt für alle bauen“ gibt sie umfassende Einblicke in die gendergerechte Stadtentwicklung. Anhand von zahlreichen Bereichen und Beispielen macht sie deutlich, wie sich die Qualität von öffentlichen Räumen und Angeboten für alle verbessert, wenn die Bedürfnisse und Lebensrealitäten von Frauen, aber auch von Kindern und älteren Menschen, in der Stadtplanung berücksichtigt werden.


Wir müssen auch öffentliche
Räume neu denken

Auf neue Angebote setzt auch Mobilitätsexpertin Katja Diehl, die sich seit Jahren für die Verkehrswende in Deutschland stark macht. Ihr Ziel: Alle müssen die Möglichkeit haben, mobil zu sein – sowohl jene, die kein Auto fahren können, also Kinder und körperlich eingeschränkte Menschen, als auch die, die freiwillig auf ein eigenes Fahrzeug verzichten. Doch die meisten Mobilitätskonzepte seien zu eindimensional: „Straßen-, Schienen- und Radverkehr werden zu wenig zusammengedacht. Unterbrechungsfreie Fahrradwege gibt es kaum, auch fehlt es häufig an sicheren Fahrradabstellflächen. Mir wurden bereits neun Fahrräder im öffentlichen Raum gestohlen. Eine verschließbare Fahrradbox bietet Platz für eine Vielzahl von Rädern und ist nicht größer als ein Autoparkplatz“, erklärt Diehl. Um alternative Mobilitätskonzepte durchzusetzen, brauche es aus ihrer Sicht einen hohen Eigenantrieb und großes Durchhaltevermögen bei den Entscheidungsträgern: „Es geht auch ein Stückweit darum, die Menschen zu erziehen. Und wenn die Alternativen funktionieren, gewöhnen sie sich schneller an sie als gedacht.“ Als ein deutsches Vorbild nennt sie das niedersächsische Nordhorn, das sich in den letzten Jahren mit unterbrechungsfreien Radwegen, viele entlang von Gewässern, zu einer Fahrradstadt entwickelt hat. Mit einem Radverkehrsanteil am Gesamtverkehrsaufkommen von rund 40 Prozent hat Nordhorn einen bundesweiten Spitzenwert erreicht.


ABOUT KATJA DIEHL

Katja Diehl ist als Mobilitätsexpertin bereits vielfach in Funk und Fernsehen in Erscheinung getreten. Darüber hinaus hat sie zwei Bücher zur Mobilitätswende geschrieben. In ihrem ersten Buch „Autokorrektur“ rückt sie Menschen mit ihren individuellen Mobilit.tsbedürfnissen in den Mittelpunkt. In ihrem neuen Werk „Raus aus der Autokratie“ setzt sie sich mit den Herausforderungen auf dem Weg zur Verkehrswende auf gesellschaftlicher und systemischer Ebene auseinander. Und sie gibt Antworten auf die entscheidende Frage: Warum verharren wir im Stillstand, obwohl das Wissen um eine zukunftsgerechte Mobilität uns allen zur Verfügung steht?


Eine stadtplanerische Maßnahme im Rahmen des Entwicklungskonzepts "Raumwerk D": Die Düssel soll weiter freigelegt werden, um öffentlichen Raum aufzuwerten und die Quartiere miteinander zu verbinden.

Ein Vorbild als „Stadt für alle“ will auch Düsseldorf sein. Das „Raumwerk D“ ist ein städtebauliches Entwicklungskonzept, das eine ganzheitliche Stadtplanung ebenso wie konkrete Pläne für sogenannte „Schlüsselräume“ – spezifische Räume mit individuellen Herausforderungen wie Innenstadt oder Hauptbahnhof – in den Blick nimmt. Darauf fußt das Projekt der zukunftsfähigen Quartiere, bei dem die zahlreichen Stadtviertel baulich, architektonisch, aber vor allem sozial und mit wissenschaftlicher Unterstützung in Hinblick darauf untersucht werden, wie sie geprägt sind und was sie einzigartig und stark macht. Auf dieser Basis werden dann Möglichkeiten entwickelt, wie das vorhandene Potenzial bestmöglich genutzt werden kann. Weil es nicht nur um die kurz-, sondern insbesondere um die langfristige Zukunft der Stadt geht, kommen dabei zunehmend jene zu Wort, die in den nächsten Jahrzehnten in ihr leben wollen: Jugendliche. Fachleute der Stadt besuchen zum Beispiel Schulen und führen mit den Schülerinnen und Schülern Planspiele durch, um Einblicke in ihre Vorstellung von einem lebenswerten Düsseldorf zu bekommen. Auch das ist zeitgemäße Stadtplanung, die alle einbezieht. •


Words: Dominik Deden
Pictures: Dr. Dellenbaugh-Losse, Dora Janowska, Reicher Haase Assoziierte, LAND, MIC, Stadtbox, IAT