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In einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt wachsen nicht nur die technischen Herausforderungen – auch bestimmte Sozialkompetenzen sind gefragter denn je. Yasmin Weiß ist Expertin für digitale Bildung und spricht im Interview über die Chancen dieser Entwicklung.

 

Frau Dr. Weiß, digitale Bildung wird als Schlüssel für die Arbeitswelt der Zukunft gesehen. Was bedeutet der Begriff eigentlich? 

Nach meinem Verständnis befähigt uns digitale Bildung dazu, an einem digital vernetzten Alltag – privat wie beruflich – verantwortungsvoll teilzuhaben. Ich spreche in diesem Zusammenhang gern von digitalen Spitzensportlern und Breitensportlern. Wir brauchen in Deutschland beides, damit die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft gelingt. Damit meine ich sowohl Menschen, die auf internationalem Weltklasseniveau die neuen Technologien beherrschen, als auch die Breite der Bevölkerung, die sich in den grundlegenden digitalen Kompetenzen fit halten muss

Welche Kompetenzen sind das konkret? 

Zu einer digitalen Grundbildung für alle Menschen zählen mindestens ein Grundverständnis von IT sowie von neuen technologischen Entwicklungen, beispielsweise künstliche Intelligenz. Diese Kompetenzen gilt es aber unbedingt anzureichern mit Sozialkompetenzen. Denn auch wenn es paradox klingt: Je digitalisierter die Welt wird, desto menschlicher müssen wir werden und unsere Sozialkompetenzen stärken. Sozialkompetenzen müssen vor dem Hintergrund der Digitalisierung neu interpretiert und damit neu trainiert werden.

Wie meinen Sie das?

Nehmen wir ein Beispiel: Noch immer finden Meetings häufig virtuell statt, viele Vorgesetzte treffen ihre Mitarbeitenden nicht mehr oft persönlich. Eine Sozialkompetenz wie Empathie wird weiterhin wichtig sein – für die virtuelle Kooperation wird aber digitale Empathie wichtiger. Auch im virtuellen Raum gilt es zu erkennen: Wo steht mein Mitarbeiter gerade? Was sind dessen Bedürfnisse? Identifiziert er sich noch mit dem Unternehmen? Als Führungskraft sollte ich in der Lage sein, all das auch in der virtuellen Welt zu erfassen, gerade in Zeiten vieler Krisen. Nur: Wie gelingt mir das, wenn ich meine Mitarbeitenden vor allem in der virtuellen Welt erlebe, wenn ich also auf dem Bildschirm nur einen winzigen Ausschnitt der Person sehe, nämlich nur den Teil vom Hemd- oder Blusenkragen aufwärts? Aber auch hier gibt es pragmatische Möglichkeiten, Befindlichkeiten zu erfassen und entsprechend empathisch zu reagieren. Etwa durch kurze Fragerunden in den virtuellen Meetings, sogenannte „emotionale Check-ins“: Hier bekommt jeder und jede am Bildschirm Gelegenheit zu sagen, wie er oder sie sich gerade fühlt. Wenn hierbei beispielsweise ein Mitarbeiter regelmäßig über Erschöpfung oder Stress klagt, wäre es an der Zeit für ein persönliches Treffen.

Wie ist der Status quo: Wie steht es um die digitale Bildung in deutschen Unternehmen?

Es gibt noch viel zu tun. Letztendlich geht es darum, die Belegschaften fit zu machen für den Sprung ins Digitale und sie zu befähigen, mit den neuen Technologien erfolgreich zusammenzuarbeiten. 

Woran hapert es denn bei der Umsetzung?

Häufig ist in den Betrieben zu wenig Akzeptanz vorhanden – sowohl bei den Entscheidern als auch bei der Belegschaft. Mein Credo ist immer: Akzeptanz, auch von neuen Technologien, ist immer eine direkte Folge von Verständnis. Daher ist digitale Bildung ja so wichtig. Wer nicht versteht, wird auch nicht akzeptieren.

Sicher spielen auch Ängste dabei eine Rolle, oder? 

Auf jeden Fall. Wer nicht versteht, wozu das alles gut ist und was die Folgen neuer Technologien sein können, entwickelt leicht Berührungsängste. Diese werden noch geschürt durch die öffentliche Debatte, in der meiner Ansicht nach eher eine bedenkenorientierte Argumentation vorherrscht. Die Bedenken lauten: „Die Digitalisierung vernichtet Arbeitsplätze.“ Oder: „Künstliche Intelligenz macht sich selbständig und übernimmt irgendwann die Aufgaben, die doch uns Menschen vorbehalten sind.“ Ich glaube aber, wir sollten statt solcher Bedenken zu einem positiven Narrativ übergehen. Es geht nicht um „Mensch gegen Maschine“, sondern um „Mensch mit Maschine“.

Es geht nicht um ‚Mensch
gegen Maschine’, sondern um ‚Mensch mit Maschine’.

Wie könnte dieses positive Narrativ konkret lauten? 

Zum Beispiel sind wir durch Technologie in der Lage, die Herausforderungen unserer Zeit wie den Klimawandel oder die Energieknappheit besser in den Griff zu bekommen. Und: Wir haben die Chance, bestimmte Tätigkeiten an Technologien zu delegieren und so eines Tages hoffentlich ausreichend Arbeitskräfte in den Bereichen zu haben, in denen Menschen dringend gebraucht werden. Und letztlich haben wir die Möglichkeit, durch den Einsatz von Technologie eine angenehmere Arbeitswelt zu schaffen. Denn viele Tätigkeiten, die heute noch Menschen verrichten, sind doch sehr anstrengend oder schlicht langweilig. Wenn wir aber Technologien einsetzen, haben wir die Möglichkeit, uns auf höherwertigere Aufgaben zu konzentrieren. Aufgaben, die Freude machen, die zufriedenstellender sind und bei denen wir auch unsere privaten und beruflichen Lebenswelten miteinander vereinbaren können.

Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?

Im Bereich der künstlichen Intelligenz rangieren wir Studien zufolge hinter China und den USA. Aber wir müssen uns anstrengen und am Ball bleiben. Wir werden aber nur Spitzentechnologie bekommen, wenn die Gesellschaft auch mitzieht. Hier ist die Sache etwas anders gelagert als etwa in China, wo das Wertesystem ein anderes ist und wo auch der Datenschutz eine untergeordnete Rolle spielt. Aber gerade deswegen ist es bei uns wichtig, dass die Gesellschaft sich auch digital bildet.

Wie schätzen Sie die aktuellen Entwicklungen rund um künstliche Intelligenzen wie etwa die Software ChatGPT ein? Wo kann digitale Bildung ansetzen, damit wir solche Software sinnvoll nutzen oder auch damit wir ein Bewusstsein von ihren Grenzen oder Gefahren bekommen?

Es ist meiner Ansicht nach enorm wichtig, dass wir eine konstruktiv-kritische Haltung entwickeln. Wir sollten uns also mit den Chancen auseinandersetzen und uns fragen: Wie können wir als Team – und damit meine ich durchaus auch das Team aus Mensch und Maschine – unsere Arbeit besser verrichten? Wir sollten uns aber ebenso darüber klar werden, wo die Grenzen sind und wo wir diese oder jene Technologie eben nicht einsetzen wollen. Gerade angesichts von ChatGPT gilt es sich die Frage zu stellen: Was bleibt unser menschliches Alleinstellungsmerkmal? Hier hat uns die Software schon in Sachen Kreativität eines Besseren belehrt und aufgezeigt, dass auch eine künstliche Intelligenz kreativ sein kann. Ich denke, der einzige Bereich, in dem wir vermutlich immer einer künstlichen Intelligenz überlegen sein werden, ist – auch wenn es seltsam klingen mag –, dass wir als Menschen Werte, Wertschätzung und Liebe vermitteln können. Das wird Technologie niemals können. Das heißt für die Arbeitswelt: Überall, wo wir emotionalen Mehrwert stiften, wird die künstliche Intelligenz nicht so schnell übernehmen. Mit ihrer Hilfe werden stattdessen Kapazitäten frei für diese wirklich wichtigen Dinge, die eben nur uns Menschen vorbehalten sind. Und das ist doch eine gute Nachricht. •


Interview: Elena Winter
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