Think big!

Sich mit dem Landschaftsarchitekten, Stadtplaner und Architekten Professor Andreas Kipar, Gründer und CEO der LAND Germany GmbH, über seine weltweiten Projekte zu unterhalten, beruhigt ungemein. Er ist sich nämlich sicher: Blühende Landschaften in Klima-angepassten Städten sind gar nicht so schwer umzusetzen. 


Herr Kipar, Sie sind Landschaftsarchitekt, Professor an der Politecnico di Milano und geschäftsführender Gesellschafter des internationalen Landschaftsarchitektur- und Beratungsunternehmens LAND. Ihr erklärtes Ziel ist es, den Menschen wieder mit der Natur zu verbinden. Wie ist dieser Wunsch entstanden? 

Ich komme aus dem Ruhrgebiet, habe vor vielen Jahren in Gelsenkirchen eine Gärtnerlehre gemacht und anschließend in Essen Landschaftsarchitektur studiert. Nach dem Studium bin ich nach Mailand gegangen, in den 1980er Jahren eine Industriestadt. Einige Jahre später ging es dort mit dem grünen Umbau los. Diese eher graue Stadt hatte seinerzeit sehr viele Ähnlichkeiten mit dem Ruhrgebiet. Nun hat sich Nordrhein-Westfalen zum Ziel gesetzt, die grünste Industrieregion der Welt zu werden. 

Aktuell arbeitet LAND an dem „Projekt Neubau eines Verwaltungsgebäudes für die Landesregierung NRW Haroldstraße 5“, das als Scharnier zwischen Kö, dem Wasser und dem Grünen installiert werden soll. 

Gute Idee! Es war wohl noch nie so wichtig, die Städte zu begrünen, nicht zuletzt um Klimaanpassungsmaßnahmen umzusetzen. Das haben Sie sich weltweit zur Aufgabe gemacht. Können Sie uns einige Ihrer Projekte nennen? 

Die „Raggi Verdi“ (grüne Strahlen) in Mailand, und wir sind nach wie vor sehr intensiv am Umbau der Stadt beteiligt, zum Beispiel an der Transformation der großen Industriebrachen. Die Parkanlagen sind urbane, biodiverse Landschaften geworden, die sehr gut funktionieren und für alle zugänglich sind. Vergleichbare Projekte haben dazu geführt, dass Essen zur Grünen Hauptstadt Europas 2017 geworden ist. 

Welche grünen Städtebau-Projekte können Sie in Düsseldorf hervorheben? 

Der Köbogen ist unbestritten eine städtebauliche Leistung, aber ich möchte besonders den „Blaugrünen Ring“ hervorheben, der den Rhein und die Altstadt städteplanerisch in die Mitte nimmt. Ein weiteres großes Projekt, an dem wir arbeiten, ist das „Projekt Neubau eines Verwaltungsgebäudes für die Landesregierung NRW Haroldstraße 5“: Das ehemalige Innenministerium NRW wird abgerissen, hier soll ein neues Verwaltungsgebäude für die Landesregierung als Scharnier zwischen Kö, dem Wasser und dem Grünen installiert werden. Von unserem Büro in Flingern arbeiten wir an verschiedenen städtebaulichen Projekten, in denen es um Schulen, aber auch um Wohnungsbau geht. Außerdem haben wir mit der Rheinischen Post das Forum „Zeitenwende für die Innenstadt“ gegründet, um Lösungen für ein menschen- und klimafreundliches Quartier in Düsseldorf zu entwickeln.“ 

Professor Andreas Kipar, CEO, Landschaftsarchitekt, Stadtplaner und Architekt, ist Gründer und CEO der LAND Germany GmbH. Sein Wunsch ist es, die Menschen wieder mit der Natur zu verbinden.

Sie möchten in all Ihren Projekten den Menschen wieder mit der Natur verbinden. Wie gelingt das? 

Indem man eine Stadt mit Gärten und Parks klimagerecht darstellt, das Thema durch einen ethischen Drang positioniert und in der Gesellschaft neue ästhetische Leitbilder findet. Wenn wir aus einem Ungleichgewicht in ein neues Gleichgewicht kommen wollen, müssen wir das, was vorher vernachlässigt wurde, die Natur, wieder wesentlich stärker in den Vordergrund bringen. 

Wie installiert man denn mehr Natur in den Innenstädten? 

Wir müssen den Mut haben, zu entsiegeln, damit der Boden wieder Wasser aufnehmen, kühlen und dort etwas wachsen kann. Dazu brauchen wir exemplarische Beispiele wie in Paris, aber auch in Mailand, wo wir gerade jede Gelegenheit nutzen, um Natur zu implantieren. Solche Konzepte sind wichtig, auch für das wirtschaftliche Ranking einer Metropole. Wir finden nur Arbeitskräfte in einer Stadt mit hoher Lebensqualität. Die Wirtschaft weiß das, nun muss auch die Politik diesem Thema mehr Raum geben. 

Beim „Projekt Neubau eines Verwaltungsgebäudes für die Landesregierung NRW Haroldstraße 5“ versuchen Professor Kipar und sein Team, möglichst viel Biodiversität zu implantieren. 

Welchen Stellenwert kann Natur darüber hinaus für die Wirtschaft haben? 

Ich beschäftige mich im Rahmen des World Economic Forums mit den Nature Positive Cities: Wieviel Naturkapital im Sinne von CO2-Bindung, Biodiversitätsschaffung oder Bodenfruchtbarkeit produziert die Natur in unseren Städten? Hierbei kommen wir aus dem passiven Denken in die Aktivbilanz. Grün kostet nämlich nicht nur, sondern produziert auch Naturkapital. Wenn wir jetzt in Natur investieren, können wir auch die Kosten zukünftiger Naturkatastrophen mindern. Um Ökosystemdienstleistungen zu steigern, muss Nachhaltigkeit sichtbar und messbar gemacht werden und dabei sind neue Technologien von großem Wert. Unser Research Lab mit Sitz in Düsseldorf kümmert sich genau um diese Themen und ist Teil des Netzwerks KI.NRW, die Kompetenzplattform für Künstliche Intelligenz in Nordrhein-Westfalen. 

Sie sprechen viel von Biodiversität: Was steckt konkret hinter dem Begriff – und wie kann man sie auch in Städten umsetzen? 

Wir können sehr viel von Städten wie Paris, Kopenhagen, Wien, Amsterdam, Oslo oder auch Zürich lernen – hier werden keine Maßnahmen ausgelassen, um Biodiversität zu implantieren. Derzeit gibt es noch in vielen Städten Artenarmut durch Monotonbepflanzung – Hunderte von identischen Baumsorten stehen in einer Reihe –, das ist das Gegenteil von Biodiversitätsanreicherung. Wir müssen uns verwildern, das ist auch ein ästhetischer Neuanfang. 

Der Krupp-Park in Essen. Nordrhein-Westfalen hat es sich zum Ziel gesetzt, die grünste Industrieregion der Welt zu werden.

Eigentlich ein schönes Schlusswort, aber ich würde gerne noch eine letzte Frage stellen. Sie haben jetzt schon viele Städte genannt, die eine grüne Transformation sehr gut umsetzen. Welche Ideen haben Sie für Düsseldorf, damit wir schneller klimaneutral und auch noch grüner werden? 

Jede Architektur in der Innenstadt darf heute offensiv auf dieses Thema einspielen. Das hat vor allem mit einer vielfältigen Begrünung von Fassaden, Dächern und Erdgeschossen zu tun. Ich sehe das als Aufruf, im Straßenbau, Schulbau, Wohnungsbau, Verwaltungsbau wesentlich stärker, proaktiver und auch ein bisschen radikaler das Thema Natur in den Mittelpunkt zu stellen. Jeder Platz müsste mit einem Klimawald ausgestattet sein. Schauen wir nach Paris, die Menschen sitzen dort in den Gärten auf den Straßen. Und was Paris kann, kann Düsseldorf schon lange! 

Think big? 

Think big! Wenn NRW die größte grüne Industrieregion der Welt werden möchte, und das sollte sie schnell tun, dann darf die Landeshauptstadt auch die naturpositivste Stadt in der grünsten Industrieregion werden! • 


Words: KATJA VADERS 
Pictures: PR, Nicola Collela, Gina Barcelona Architects, Ralph Richter, LAND Germany GmbH, Johannes Kassenberg, Rupert Oberhaeuser