„Eine Exit-Strategie ist integraler Bestand verantwortungsvollen politischen Handelns“

Interview mit Oberbürgermeister Thomas Geisel

Die Corona-Pandemie reicht in alle Bereiche einer Stadt – das Gesundheitssystem, die Wirtschaft, das öffentliche Leben, Kunst und Kultur. Über das Krisenmanagement in Düsseldorf sprach VIVID-Herausgeber Rainer Kunst mit Oberbürgermeister Thomas Geisel. Die beiden kennen sich gut von gemeinsamen Aktionen – unter anderem führten sie für die erste Ausgabe der VIVID ein Jogging-Interview am Rhein.

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VIVID: Wie hast du die Stadt in den letzten Wochen während des Shutdowns wahrgenommen?
Thomas Geisel: Dass das öffentliche Leben weitestgehend stillgelegt ist, fällt bei uns in Düsseldorf besonders auf. Normalerweise sind wir eine Stadt, besonders jetzt im Frühling, wo sich viel im Freien und bei Veranstaltungen abspielt, Geselligkeit spielt hier eine große Rolle. Es ist traurig zu sehen, dass das gerade nicht in der Form geht, und stellt für viele Menschen auch eine Herausforderung dar. Aber: Nichts ist so schlecht, dass es nicht auch sein Gutes hat. Ich persönlich arbeite auch gerade viel im Homeoffice und habe es zum Beispiel sehr genossen, jeden Abend mit meiner Familie zusammen zu kochen und Zeit zu verbringen. 

Du hast in verschiedenen Medienauftritten dafür plädiert, möglichst frühzeitig eine Exit-Strategie aus der Corona-Krise zu planen. Warum?
Zunächst einmal: Ich wollte mit diesen Äußerungen nicht die Disziplin der Menschen, die Social Distancing vorbildlich einhalten, unterminieren – das scheint teilweise missverstanden worden zu sein. Ich denke aber, dass jeder verantwortungsvolle Politiker sich zu dem Zeitpunkt, wo er den Stillstand anordnet, auch Gedanken dazu machen muss, wann dieser Stillstand wieder vorbei sein kann. Es geht darum, eine Entscheidung zu treffen, die auf intensiven Abwägungen beruht. Es wäre fatal, zum Beispiel nur den Empfehlungen der Virologen oder nur den Empfehlungen der Wirtschaftsexperten zu folgen. Ein anderes Beispiel zur Verdeutlichung: Wenn ich mir hier in Düsseldorf etwa Expertise zur Stadtentwicklung holen will, dann spreche ich ja auch nicht nur mit dem Experten für Hochwasserschutz, sondern auch mit Experten aus anderen Fachgebieten – sonst sähe die Stadt anders aus. Verantwortungsvolle Politik muss immer dieses extrem schwierige Geschäft des Abwägens betreiben. Dafür werden Politiker gewählt.

Wie unterstützt die Stadt insbesondere die Gesundheitsversorgung in Düsseldorf? 
Ich habe den Eindruck, dass wir als Stadt sehr gut aufgestellt sind. Dazu gehört, das Gesundheitssystem optimal vorzubereiten. Das gelingt gut, weil es eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheitsamt und den Düsseldorfer Kliniken, insbesondere der Uniklinik, gibt. Kontinuierlich wird erfasst: Welche freien Kapazitäten, insbesondere intensivmedizinischen, gibt es, wie viele können im Notfall noch geschaffen werden? Sogenannte elektive Operationen werden deswegen derzeit nicht gemacht, um aber einem möglicherweise bevorstehenden dem Ansturm Stand zu halten. Bei der Ausstattung mit Schutzmasken sind wir vom Ausgangspunkt her ebenfalls gut aufgestellt: Unsere Feuerwehr hat umsichtig sehr frühzeitig eingekauft, sodass wir derzeit wir noch keinen Engpass haben. Und wir haben die Bevölkerung sehr gut sensibilisiert für den eigenen Gesundheitsschutz und organisiert, dass besonders gefährdete Menschen geschützt werden.

Wie können wir Düsseldorfs Wirtschaft wieder ankurbeln? 
Je länger der Stillstand anhält, desto größer ist der Kollateralschaden. Es ist zwingend erforderlich zu planen, wie wann und unter welchen Voraussetzungen wir das öffentliche Leben wieder hochfahren können. Das hängt erstens davon ab, wie gut wir das Virus eindämmen. Zweiter Faktor ist, wie gut unsere Gesundheitsversorgung ist. Und der dritte Faktor ist, wie gut uns der möglichst effektive Schutz von potentiellen Risikopatienten gelingt. Abhängig von diesen Faktoren können wir das öffentliche und wirtschaftliche Leben sukzessive wieder hochfahren. So kann man den Pandemieverlauf so steuern, dass es nicht zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommt. Ich betone es gerne nochmal: Eine Exit-Strategie ist integraler Bestand verantwortungsvollen politischen Handelns! Jeder Politiker, der den Stillstand anordnet, muss sich gleichzeitig auch immer die Frage stellen: Wann geht es wieder weiter? Unsere Wirtschaftsförderung leistet in dieser besonderen Zeit übrigens Großartiges: Sie hat sich innerhalb kürzester Zeit so umstrukturiert, dass sie den immensen Aufwand an Beratungen und Services für Unternehmen gut managen kann. 


„Verantwortungsvolle Politik muss immer dieses extrem schwierige Geschäft des Abwägens betreiben.“

Düsseldorf ist ein sehr internationaler Standort, auch mit vielen Firmen aus China und Japan. Inwiefern trägt das dazu bei, dass man sich in dieser herausfordernden Zeit auch international gegenseitig unterstützt?
Wir sind in intensivem Austausch mit unseren chinesischen und japanischen Freunden. Als China als erstes Land betroffen war, gab es zum Beispiel eine schöne Solidaritätsaktion, bei der unsere Partnerstadt Chongqing Geld- und Sachspenden erhalten hat. Mir ist auch sehr wichtig, dass diese Bevölkerungsgruppen im Zuge der Corona-Krise nicht diskriminiert werden und das habe ich auch geäußert. Wir stehen insbesondere unserer chinesischen Community in dieser Zeit bei und der chinesische Generalkonsul hat dies auch dankbar zur Kenntnis genommen.

Den Shutdown willst du im Schulbereich möglichst konstruktiv nutzen, zum Beispiel mit vorgezogenen Sanierungsprojekten. Auch in die digitale Aufrüstung der Schulen investierst du stark.
Wir bauen ja ohnehin viel in der Stadt und machen Sanierungen im Bestand, insofern nutzen wir diese Zeit auch für die Schulen. Unterricht findet während des Shutdowns in virtueller Form statt. Wir haben bereits vor etlichen Monaten einen Medienentwicklungsplan ins Leben gerufen, das wird jetzt noch deutlich beschleunigt. Zeitnah werden wir eine digitale Lern-Plattform mit dem Namen „It´s learning“ ausrollen, die sehr nutzerfreundlich ist. Die Digitalisierung läuft in diesem Bereich noch nicht optimal, aber die Krise wird dem Ganzen auch einen Schub verleihen.

Düsseldorf ist reich an Kunst und Kultur – ein Bereich, der nun besonders schwer getroffen ist. Gleichzeitig bekommt er gerade jetzt, wo viele Menschen zuhause sind und zum Nachdenken kommen, eine wichtige und motivierende Bedeutung. Wie nimmst du diesen Bereich derzeit wahr?
Das trifft hier in Düsseldorf ausgesprochen viele Menschen hart. Vielen von ihnen bricht das Geschäft weg, oft haben sie keine dicke Kapitaldecke. Das Land hat Hilfen zur Verfügung gestellt, aber das hält Kulturbetriebe auch nur vorübergehend über Wasser. Als Stadt helfen wir, wo wir können. So bleibt es selbstverständlich bei zugesagten Projektmitteln etwa für die Freie Szene. Selbst wenn Veranstaltungen jetzt nicht stattfinden können. Den einen oder anderen virtuellen Ersatz gibt es ja für Kulturliebhaber. Die Oper hat z. B. Inszenierungen online gestellt, der Kunstpalast hat mittlerweile eine sehr gute Online-Präsentation. Das Virtuelle kann insofern auch Appetit machen auf den analogen Genuss, der hoffentlich bald wieder möglich sein wird. 

„Lasst euch nicht von dieser angst beherrschen.“

Was hilft dir persönlich derzeit besonders, um einen kühlen Kopf zu bewahren? 
Das Laufen. Das lasse ich mir nicht nehmen. In der allerersten VIVID-Ausgabe haben wir dabei ja auch ein schönes Interview gemacht. Alle Virologen sagen, dass die Ansteckungsgefahr in der frischen Luft sehr gering ist. Zudem kommt man auf andere Gedanken und macht was fürs Immunsystem. Den Düsseldorf Marathon holen wir auch nach, davon bin ich überzeugt.

Gibt es etwas, was du unserer Leserschaft zum Umgang mit der Corona-Krise mit auf den Weg geben möchtest? 
Ich finde, dass diese Phase der Entschleunigung auch etwas Gutes hat. Natürlich ist eine berechtigte Anspannung in der Gesellschaft vorhanden. Den Lesern will ich sagen: Lasst Euch bitte nicht von dieser Angst beherrschen! Das Wichtigste ist: Wir brauchen jetzt verantwortungsvolles Handeln. • 

www.corona.duesseldorf.de


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Thomas Geisel

GEBOREN AM
26. Oktober 1963

VERHEIRATET MIT
Vera Geisel

KINDER
fünf Töchter

OBERBÜRGERMEISTER SEIT
15. Juni 2014

WERDEGANG
Verschiedene politische Funktionen in der SPD und Abteilungsleiter der Treuhandanstalt. Von 1998 bis 2013 in der Energiewirtschaft bei Enron und E.ON, seit 2013 selbstständiger Rechtsanwalt.


Interview: Rainer Kunst