Fighting Brain pollution
Jährlich erkranken rund 200.000 Menschen in Deutschland an Alzheimer, eine bislang unheilbare Erkrankung. Wissenschaftler aus aller Welt suchen nach den Ursachen, um die Krankheit zu entschlüsseln und wirksame Medikamente zu entwickeln. Eine von ihnen ist Annette Limke. Die promovierte Biologin untersucht die Auswirkungen von Ultrafeinstaub auf das Alzheimer-Risiko. Ein Interview mit der 32-Jährigen über Auspuffgase, über das Ziel ihres Forschungsprojekts und ihre Liebe zur Natur.
Wollten Sie schon immer Wissenschaftlerin werden?
Nein. Ich hatte in der Schule zwar Biologie als Leistungskurs, doch meine Interessen waren vielfältig. So konnte ich mir auch gut vorstellen, als Lehrerin Sport zu unterrichten, letztlich habe ich mich für die Biologie entschieden.
Warum sind Sie dann Alzheimer-Forscherin geworden?
Weil ich etwas zur Prävention und Heilung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimerdemenz, Morbus Parkinson oder Chorea Huntington beitragen möchte. Ich fühle mich sehr privilegiert, wenn ich im Labor an meinem Mikroskop sitze und dabei helfe, potentielle Risikofaktoren aus der Umwelt wie Abgase aus Verkehr, Industrie und Haushalten zu identifizieren. Und so deren Mechanismen zur Entstehung von Amyloiderkrankungen wie Alzheimer aufzuspüren. Bei dieser Krankheit sterben nach und nach immer mehr Nervenzellen ab. Betroffene leiden deshalb an Gedächtnisverlust und Orientierungslosigkeit.
Als Studentin haben Sie mit ihrem Mann in der Nachbarschaft der Corneliusstraße gewohnt – einer der am meisten mit Feinstaub belasteten Straße Düsseldorfs. War das der Grund, warum Sie nach Solingen gezogen sind?
Die Lage mitten in der Stadt mit der Straßenbahn-Haltestelle quasi vor der Haustüre ist super. Wenn da nicht die permanent schlechte Luft wäre. Jedes Mal nach einem Ausflug ins Grüne oder nach dem Urlaub, ist es uns besonders störend aufgefallen.
Dicke Luft - Abgase aus Verkehr, Industrie und Haushalten - macht krank, das beweisen viele Studien. Können Sie ihren Forschungsansatz erläutern?
Es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass sich kleinste Teilchen aus dem Autoverkehr – so genannte Nanopartikel – nicht nur negativ auf die Atemwege auswirken, sondern auch negativ auf das Gehirn. Bei Menschen, die in der Nähe von vielbefahrenen Straßen wohnen, konnten kognitive Defizite nachgewiesen werden. In Ballungsräumen mit besonders ‚dicker Luft‘ konnten Nanopartikel aus KFZ-Abgasen im Gehirn nachgewiesen werden. Um die Luftschadstoffe zu ermitteln, die Alzheimer fördern könnten, mache ich Versuche an dem ein Millimeter kleinen, transparenten Fadenwurm Caenorhabditis elegans und belaste ihn mit verschiedenen Ultrafeinstäuben.
Wieso eignet sich ausgerechnet dieser Winzling für Ihr Projekt?
Er besitzt exakt 302 Nervenzellen, er kann offenbar lernen und seine Gene ähneln zwischen 60 und 80 Prozent denen des Menschen.
Was haben Sie bisher in den Versuchsreihen herausgefunden?
Diese Würmer werden normalerweise maximal drei Wochen alt. Sie können kriechen, schwimmen und sich orientieren. Unter dem Einfluss beispielsweise von Kleinstpartikeln, wie sie auch im Abrieb von Autoreifen vorkommen, altert der Wurm jedoch vorzeitig. Und: Er verliert seine kognitiven Fähigkeiten, scheint das Erlernte zu vergessen – was Parallelen zur Alzheimer-Erkrankung aufzeigt.
Sie gehören zu einer sechsköpfigen Arbeitsgruppe der Professorin Anna von Mikecz, die seit Jahren die Wirkung von Nanopartikeln auf den Menschen untersucht. Diese können aufgrund ihrer Winzigkeit die Blut-Hirn-Schranke überwinden und so das Zentralnervensystem erreichen. Mit welchen Folgen?
Sie können in jedes Gewebe im Körper eindringen – auch ins Gehirn. Wir vermuten, das Nanopartikel dazu beitragen, dass sich dort Eiweißmoleküle verklumpen. Ein Prozess, durch den Erkrankungen wie Alzheimer Demenz entstehen. Genau diese abnormalen Protein-ansammlungen untersuche ich auch bei den Fadenwürmern und konnte bislang nachweisen, dass Partikel von Reifenabrieb Nervenzellen absterben lassen und die Alzheimer typischen Eiweißablagerungen fördern. Um realistische Bedingungen nachzustellen, erfolgt die Belastung mit Schadstoffen unterschwellig und chronisch über die gesamte Lebensdauer des erwachsenen Wurms. Die jungen, mittelalten und alten Fadenwürmer werden dann auf typische Krankheitssymptome (Beta-Amyloid Ablagerungen, Absterben von Nervenzellen und Verhaltensdefekten) hin untersucht.
Was ist das Ziel Ihrer Forschung?
Neue Erkenntnisse gewinnen, die sowohl die Zusammenhänge der Krankheitsentstehung als auch neue Wege der Prävention transparent machen. Die Fähigkeit der Nanopartikel die Blut-Hirn-Schranke zu passieren, lässt sich auch therapeutisch nutzen – beispielsweise für Medikamente. Mit Hilfe meines Projekts soll ein Test entwickelt werden, der die Wirkungsweise der Schadstoffe identifiziert und so die Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten ermöglicht.
Das Ganze hört sich langwierig und sehr herausfordernd an. Ist Geduld zu haben, eine der wichtigsten Voraussetzungen in Ihrem Job?
In der Tat. Forschung bedeutet: Wenn eine Antwort gefunden ist, stellen sich gleich fünf neue Fragen. Manche Testsysteme lassen sich nicht so schnell etablieren, wie man es gerne hätte. Da hilft eine gesunde Frustrationstoleranz.
Was hilft in solchen Fällen?
Allein die Tatsache, dass die Alzheimer-Forschung relevant für die Menschheit ist – wir alle gehören zur Risikogruppe. Deshalb hoffe ich, dass man in zehn Jahren vielen betroffenen Menschen verschiedene Therapieansätze anbieten kann, die ihre Lebensqualität und die ihrer Angehörigen maßgeblich steigert.
Wie wichtig sind für Ihre Studien Auszeichnungen, wie der mit 10 000 Euro dotierte Kurt-Kaufmann-Preis der Alzheimer Forschung Initiative (AFI)?
Mir persönlich ermöglicht die Förderung der AFI die Erforschung von Alzheimer-Risikofaktoren in einem innovativen Modellorganismus zu intensivieren. Mit den Mitteln können die Tierhaltungskosten und Labormaterialien wie Mikro-Partikel und Chemikalien bezahlt werden.
Kann durch Prävention das Risiko, an einer Demenz wie Alzheimer zu erkranken, verringert werden? Welche Maßnahmen können getroffen werden, um das Alzheimer Risiko zu minimieren?
Eine entscheidende präventive Möglichkeit stellt die Verbesserung der Luftqualität in Ballungsräumen dar, beispielweise indem verkehrsbedingte Emissionen drastisch gesenkt und Grünanlagen in der Stadt gepflegt und aufrecht erhalten werden. Weitere Maßnahmen, wie ein schneller Kohleausstieg und die Reduzierung der Emission aus der Landwirtschaft könnten die Luftqualität steigern.
Hat sich ihr Lebensstil verändert?
Auf jeden Fall. Ich gehe mit offenen Augen durchs Leben; habe die Natur mehr im Blick. Mache viel Sport und wohne inzwischen mit meinem Mann zwar noch nicht mitten im Grünen, aber immerhin in einer weniger befahrenen Gegend mit 30er Zone. •
Annette Limke
• Born in Poland in 1988, grew up in Dortmund, Bachelor's and Master's degree in biology at Heinrich Heine University.
• Beginning of 2021: Dissertation on the topic of "Chronic effects of nanoparticles on ageing processes, signalling pathways and neurodegeneration "passed magna cum laude.
• Since 2012, the research assistant has been conducting research at the Düsseldorf IUF - Leibniz Institute for Environmental Medicine Research - and was awarded the Kurt Kaufmann Prize of the non-profit Alzheimer Research Initiative (AFI).
Interview Dagmar Haas-Pilwat
Pictures Melanie Zanin