Global thinking is key

Wie können wir mehr ökologische und soziale Verantwortung übernehmen? Und wie beeinflusst uns die Krise auf dem Weg hin zu einer nach-haltigen Gesellschaft? Ein Interview mit Prof. Dr. Estelle Herlyn, Professorin für Nachhaltigkeit an der FOM Düsseldorf.

Left: Name Stefan Kirmse Job Global Brand Activist Company WacomRight: Name Rainer Kunst Job Publisher of VIVID

Häufig sind es Krisen, die Menschen dazu bringen, umzudenken und Alternativen zu suchen. Ist es jetzt dann nicht an der Zeit, auch in Richtung Nachhaltigkeit mehr zu tun? Und wie hoch ist die Bereitschaft dazu in Wirtschaft und Gesellschaft?

Die Bereitschaft, mehr in Richtung Nachhaltigkeit zu unternehmen, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Sie hängt zu großen Teilen auch davon ab, wie stark jeder Einzelne von der Krise betroffen ist. Für viele hat Corona ja völlig ungeahnte Folgen: Einige Unternehmen haben Kurzarbeit angemeldet, andere haben mit Insolvenz zu kämpfen. Da stehen Nachhaltigkeitsthemen nicht unbedingt im Fokus, weil diese Maßnahmen zunächst oft zusätzliches Geld kosten. Andere Unternehmen spüren die Auswirkungen der Krise vielleicht nicht so sehr oder gar nicht, weil ihr Geschäftsmodell auch in Corona-Zeiten funktioniert. Sie haben dann verständlicherweise auch mehr Spielraum, um sich über das Thema Nachhaltigkeit Gedanken zu machen. 

Was können Unternehmen tun, um gut durch die Krise zu kommen und sich dabei gleichzeitig nachhaltig aufzustellen?

Auf der lokalen Ebene sind die Maßnahmen ja weitgehend bekannt: Den Fuhrpark reduzieren, Dienstfahrräder anschaffen, im Homeoffice arbeiten, den Energie-Mix umstellen – all diese Dinge können sinnvoll sein, um einen ersten Schritt zu tun und im Unternehmen Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Sie sollten aber nicht überbewertet werden, denn sie können alleine nicht die entscheidenden Hebel sein, um das Thema auf der wichtigen globalen Ebene – und damit tatsächlich nachhaltig! – zu lösen. Hierzu sind ganz andere Formen der internationalen Zusammenarbeit nötig. Ich denke zum Beispiel an die Allianz für Entwicklung und Klima, einem Bündnis aus Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen, die sich freiwillig für die Umsetzung der Agenda 2030, der Nachhaltigkeitsagenda der Vereinten Nationen, und des Pariser Klimavertrags engagieren. Das geschieht durch die Förderung von CO2-Kompensationsprojekten in Entwicklungs- und Schwellenländern. Also dadurch, dass ein Unternehmen CO2-Zertifikate kauft, die bestätigen, dass andernorts in Klimaschutzprojekten im gewünschten Umfang CO2 vermieden oder zum Beispiel in Bäumen gebunden wird. Auf diese Weise verbessert man die Weltklimabilanz – nur auf diese kommt es am Ende an. Man wird vielleicht sogar bilanziell klimaneutral, verbessert zugleich die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort und fördert überdies womöglich die Biodiversität. 

Inwiefern stehen politische Rahmenbedingungen hierzulande einer nachhaltigen Entwicklung im Wege?

In der Ökonomie reden wir oft von der sogenannten „Externalisierung von Kosten“, sprich: Die sozialen oder ökologischen Folgen unseres Handelns werden nicht bepreist, sondern auf andere abgewälzt. Für uns ist es immer noch billiger, nicht nachhaltig zu handeln – und beispielsweise weiter in Ländern wie Bangladesch zu produzieren, wo die Umwelt- und Sozialstandards extrem niedrig sind. Unter den heutigen Rahmenbedingungen rechnet sich Nachhaltigkeit für uns also häufig nicht, das ist ein Dilemma.

Wie kommen wir da wieder heraus? Von welchen Vorstellungen sollten wir uns verabschieden, um verantwortungsvoller mit unserem Planeten umzugehen?

Ich denke, ein erster wichtiger Schritt ist, dass wir uns bewusst machen, dass alles mit allem zusammenhängt – und auch: wie fragil alles ist und wie wenig resilient. Das zeigt uns die Coronakrise ja nun sehr deutlich. Wir merken, dass unser vermeintlich sicheres System durch ein Virus plötzlich ins Wanken gerät. Und zwar weltweit. Das sollte uns auch auf anderen Ebenen, allen voran beim Klima- und Umweltschutz, zum Umdenken bringen. Zum Glück passiert das schon in einigen Bereichen. So setzen sich immer mehr Unternehmen im Rahmen ihrer Strategien auch im Bereich Nachhaltigkeit ambitionierte Ziele und schulen ihre Mitarbeiter entsprechend, um sie so für das Thema zu sensibilisieren – in Düsseldorf ist Henkel hier sehr aktiv. Am allerwichtigsten ist dabei meines Erachtens, dass wir die globale Dimension immer mit berücksichtigen, dass wir uns also als Teil des Ganzen begreifen und auch international aktiv werden.

Wie erklären Sie sich eigentlich, dass uns ein Mentalitätswechsel hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft so schwer fällt?

Die meisten von uns sind in einem System groß geworden, in dem vieles selbstverständlich war und vordergründig gut funktionierte. Ich nehme an, dass wir da mit der Zeit auch etwas träge geworden sind und wenig infrage gestellt haben. Das Virus hat uns nun wachgerüttelt. Das hoffe ich zumindest. 

„Wir müssen uns bewusst machen, dass alles mit allem zusammenhängt – und auch: wie fragil alles ist und wie wenig resilient.“ 

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Können Sie uns bitte einen Ausblick geben: Wie stehen die Chancen, dass sich unsere Gesellschaft zu einer nachhaltigen, verantwortungsvollen entwickelt?

Ich denke, dass die Chance dazu noch da ist, aber genauso ist auch die Option des Scheiterns im Raum. Dazu sollten wir uns Folgendes klarmachen: Es könnte sehr gut sein, dass das Wohlstandsniveau vor Corona das höchste war, das wir in Deutschland je hatten. Es wieder dahin zu schaffen, wäre schon eine große Leistung. In den Entwicklungs- und Schwellenländern ist die Lage ganz anders: Diese Länder müssen überhaupt erst einmal ein bestimmtes Wohlstandsniveau erreichen, ohne dass dies zulasten der Umwelt und des Klimas geht. Das kann vor allem durch neue und nachhaltige Technologien gelingen. Um diese zu entwickeln und an geeigneter Stelle einzusetzen, sind länderübergreifende Kooperationen ganz wichtig, zum Beispiel aktuell im Bereich grüner Wasserstofftechnologien. Kurz gesagt: Wenn wir weiter auf Wachstum auf Kosten anderer setzen, sehe ich schwarz. Wenn wir dagegen unser globales Bewusstsein stärken und entsprechend handeln, können wir viele Probleme unseres Planeten hoffentlich eines Tages bewältigen. •

Prof. Dr. Estelle Herlyn

Prof. Dr. Estelle Herlyn ist Wirtschaftsmathematikerin und Professorin für Nachhaltigkeit an der FOM Hochschule in Düsseldorf. Sie war mehrere Jahre in Unternehmensberatungen und internationalen Unternehmen tätig. Parallel zu ihrer Tätigkeit an der FOM arbeitet sie heute freiberuflich für das Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung. Zudem ist sie stellvertretende Kuratoriumsvorsitzende des Senatsinstituts für gemeinwohlorientierte Politik und Mitglied der Deutschen Gesellschaft des „Club of Rome“.

www.fom.de

www.allianz-entwicklung-klima.de


Words: Elena Winter
Pictures: Melanie Zanin