Star Cooking
Durch ihre Großmutter in Polen lernte sie, wie man kocht und einen Haushalt führt, aber daraus einen Beruf zu machen? Agata Reul schwankte zwischen Köchin und Floristin. Doch als sie nach Deutschland kam, machte sie im legendären Edel-Lokal „Victorian“ wenige Schritte von der Königsallee entfernt eine Ausbildung zur Köchin. Nur ein Jahr nach Eröffnung ihres eigenen Restaurants „Agata´s“ in Düsseldorf wurde ihre Küche 2013 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Seitdem ist sie die einzige Polin in Deutschland, die ein Sterne-Restaurant besitzt.
Zum Gespräch mit der Patronne treffen wir uns montags, dann bleibt die Küche kalt und das „Agata's“ geschlossen. Die Einrichtung des Lokals ist edel, aber ohne viel Chi-Chi, mit modernem Design, erdigen Tönen, liebevoller Blumen-Deko. Keine weißen Tischdecken, keine Kellner mit weißen Handschuhen, kein Dress-Code.
Haben Sie den Stern angestrebt?
Nein, nicht so kurz nach der Eröffnung. Alle im Team hatten zwar Erfahrung in der gehobenen Küche, aber um ein Unternehmen erfolgreich zu führen, braucht es mehr als viel Leidenschaft und Kochkünste. Unser Ziel anfangs war: Überleben. Aber die Gäste haben uns empfohlen, daraufhin ist der Michelin-Inspektor gekommen.
Was hat sich mit der Auszeichnung verändert?
Unser Bekanntheitsgrad und die Reservierungen sind steil nach oben gestiegen. Denn ein Stern bedeutet zugleich ein unschätzbares Marketingtool. Heute sind wir eines von deutschlandweit 259 Ein-Sterne-Restaurants.
Ein Stern bedeutet auch Druck. Wie stellen Sie sicher, dass stets in gleicher Qualität gearbeitet wird?
Keine Frage, der Druck ist enorm hoch, aber wir ziehen alle an einem Strang. Ich würde immer wieder so entscheiden und diesen Weg gehen. Ich liebe es einfach.
Nach wie vor ist der Frauen-Anteil unter den Sterne-Köchen gering. Was ist der Grund?
Die Belastbarkeit als Küchenchefin ist sehr hoch und individuelle Lebensentscheidungen spielen eine wesentliche Rolle: Strebe ich eine Führungsposition an? Will ich die Verantwortung tragen? Will ich Kinder und mehr Zeit für die Familie haben? Ich wusste von Anfang an, was ich wollte und in meinem Team wurde nie nach Geschlecht unterschieden. Entscheidend ist die Zielstrebigkeit, die der einzelne an den Tag legt.
Was ist an Agata's Küche einzigartig?
Der Mix aus europäischer und asiatischer Küche, unsere persönliche Note. Alles, was hier auf den Teller kommt, basiert auf hervorragenden Produkten. Neben der Qualität ist die Verarbeitung der Zutaten wesentlich. Wie gehe ich mit dem Produkt um, lässt sich möglicherweise alles verwenden? Die Idee, die Handschrift der Küche muss erkennbar sein. Preis-Leistungs-Verhältnis und Atmosphäre müssen stimmen. Und natürlich der Geschmack – wir alle wollen doch Essen, das die Seele wärmt.
Was war die größte Herausforderung beim Schritt in die Selbstständigkeit?
Ich war 31 und wollte eigentlich nichts anderes als in der Küche stehen und kochen. Aber – das Restaurant trägt meinen Namen, ich bin das Gesicht, das man sehen will. Also stehe ich als Gastgeberin vorne, mache den Service. Ich bin Mädchen für alles, Restaurantleiterin, Hilfskellnerin, Bürofachkraft, aber aus Zeitgründen keine Chefköchin. Statt Saucen zu komponieren und Teller anzurichten, kommuniziere ich mit den Gästen. Das war anfangs hart. Doch es gab keinen Weg zurück. Ich war für mein Team verantwortlich, wir haben uns gemeinsam entfaltet.
Nach welchen Kriterien entsteht die Karte?
Küchenchef Philipp Lange, er ist seit den Anfängen dabei, entwickelt die Karte saisonal und in Absprache mit unseren Lieferanten. Aufgewachsen auf Hawaii setzt er verstärkt auf polynesische und japanische Einflüsse. Philipp treibt unseren kulinarischen Stil kreativ voran und wir anderen bringen unsere Ideen ein. Unterschiedliche internationale Komponenten sind uns wichtig, wobei sich auch der polnische Einfluss bemerkbar macht. Anfangs waren es Piroggen, die polnische Antwort auf Ravioli & Co, aber es gab Sauerampfersuppe und Rote Bete Bouillon – mein absolutes Lieblingsgericht. Generell entstehen die Gerichte zuerst im Kopf, dann werden sie entwickelt, aufgeschrieben, gekocht, probiert und probiert. Beim Kochen ist alles möglich, es gibt keine Grenzen.
Ist Nachhaltigkeit ein Thema?
Klar überlegen wir, wie stark die Karte von Produkten geprägt sein muss, die aus anderen Ländern kommt. Wir reduzieren und nehmen immer öfter Teile von Tieren, die nicht so gängig sind. Zum Beispiel Nierenzapfen - das Fleisch ist zart und intensiv im Geschmack.
„Beim Kochen ist alles möglich, es gibt keine Grenzen.“
Die Pandemie stellt insbesondere auch die Gastronomie vor ungeahnte Herausforderungen.
Wie sehr hat sich das Geschäft verändert?
Um zu überleben und wirtschaftlich zu sein, hat sich Vieles in den vergangenen Monaten verändert. Angefangen bei den Öffnungszeiten, die an die starken Wochenendzeiten von Donnerstag bis Samstag angepasst wurden. An den Tagen sind wir ausgebucht, können gezielt einkaufen.
Wie groß ist inzwischen der Einfluss von Kommunikations- und Informationstechnik in der Sterneküche?
COVID-19 war der Treiber, der digitale Schub ist enorm und hat neue Geschäftsmodelle möglich gemacht.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Das Kassen- und Buchungssystem ist neu. Digital ist die Verwaltung schneller zu schaffen, die Warenwirtschaft besser zu pflegen, Arbeitszeiten leichter zu dokumentieren und vieles mehr. Nehmen wir unser neues Take-away- oder Liefer-Angebot, was bislang im Sternerestaurant undenkbar war. Wir bereiten das Drei-Gänge-Menü vor und geben den Kunden eine Anleitung zur Zubereitung mit. Neu sind unsere Kochkurse, die wir digital und individuell anbieten. Alle sind maßgeschneidert auf die unterschiedlichen Wünsche der Kunden. Entweder bekommt dieser Einkaufslisten und wir streamen aus der Küche heraus die Zubereitung. Oder man lässt sich die fertigen Pakete mit den bis zu zehn Komponenten pro Gericht liefern. Jedes Produkt wird vorgegart, entsprechend verpackt und mit Anleitung versehen, so dass das Essen einfach und unkompliziert zu finishen ist. Natürlich kann es angerichtet nicht so aussehen, wie von uns aufgetischt. Dafür wir sind ja auch die Profis.
Spielt Social Media eine Rolle?
Sogar eine bedeutende. Die Kommunikation mit den Kunden ist viel direkter und intensiver. Es macht mir großen Spaß, auf Instagram oder Facebook unterwegs zu sein – selbst, wenn ich längst nicht alles weiß oder kann. Dafür habe ich einen Mitarbeiter eingestellt, er kümmert sich zudem um unsere Netzwerk-Plattformen. Die Monate, in denen das „Agata´s“ Corona-bedingt geschlossen war, waren sehr kreativ, fruchtbar. Wir haben zahlreiche Ideen ausgebrütet und festgestellt: Nichts ist unmöglich und Vieles möglich.
Zum Beispiel?
Es kommt ein Online-Shop. Zusammen mit dem Getränkeexperten und Barkeeper Nic Shanker entwickeln wir ein gemeinsames Produkt. Ich betreibe den Burgerladen „Food Brothers“ auf der Ratinger Straße und expandiere als Franchise-Nehmerin gleichnamiger Kette mit Filialen in Warschau.
Was ist denn ihr größter Traum?
Ein Bauernhof auf dem Land mit einem großen Garten.
Und wer steht dann zu Hause am Herd und kocht?
Wie immer mein Mann. Er mag mein Essen nicht, er findet es zu komplex. •
Über Agata Reul
In Polen, in der Nähe von Stettin wurde Agata Reul geboren. Der Opa war Metzger, ihre Eltern führten einen gastronomischen Betrieb an der Ostsee. Agata studierte ein paar Semester Jura und verließ dann vor 17 Jahren ihre polnische Heimat, um in Düsseldorf ihr Glück zu suchen. Mit 27 Jahren wurde sie Kochlehrling in einem Düsseldorfer Sternerestaurant und wusste sofort, dass sie eines Tages ein Gourmetlokal eröffnen und ihm ihren eigenen Namen geben würde. Sie ist verheiratet mit Bertold Reul, Hoteldirektor des Derag Living Hotels De Medici.
Agata’s Restaurant
2012 hat sie das nach ihr benannte Restaurant nicht etwa in Düsseldorfs Zentrum, sondern in einer ehemaligen Eckkneipe im Stadtteil Pempelfort eröffnet. 2018 ist die Gastgeberin und Chefin mit ihrem Team nach Unterbilk an die Kirchfeldstraße ins Living Hotel Düsseldorf umgezogen. Seit 2013 ist das Agata´s mit einem Michelin-Stern gekrönt und hat ihn – ungeachtet der Corona-Pandemie – auch 2021 erneut verteidigt.
Interview Dagmar Haas-Pilwaat
Pictures Agata`s Restaurant