What's next Sipgate?
Das Düsseldorfer IT-Unternehmen Sipgate ist Pionier und Markt-führer der Internettelefonie in Deutschland und steht wie kein
anderes Unternehmen für moderne Arbeitsweisen und Organisation. Nun mischt Sipgate den Mobilfunkmarkt auf. Und nicht nur den.
Was heute für jeden Nutzer von Skype, Whatsapp oder Facebook selbstverständlich ist, klang 2004 für viele noch wie Science-Fiction vollbärtiger Computertüftler: Voice over IP (VoIP), das Gespräch über das Internet anstatt über das Telefonkabel. In diesem Jahr gründeten Thilo Salmon und Tim Mois Sipgate und boten virtuelle Telefonanlagen im Netz an, über die Geschäfts- wie Privatkunden deutlich billiger telefonieren konnten als zuvor.
Seitdem hat sich bei Sipgate viel getan. Mittlerweile arbeiten rund 130 Mitarbeiter in dem Technologie-Unternehmen. Auf dem 3000 Quadratmeter großen Gelände im Hinterhof der Gladbacher Straße 74 ist ein Garten angelegt, dahinter das Gebäude mit offenen Büroräumen, einem langen Flur, der gerne als Bobbycar-Rennstrecke von den Kindern der Mitarbeiter genutzt wird. Ebenfalls dabei: die große Kantine, in der täglich frisch gekocht wird und die für interne und externe Meetings genutzt werden kann. Dort findet auch monatlich die Veranstaltungsreihe „Leandus“ statt, bei der interessierte Düsseldorfer bei Essen und Drinks und einem spannenden Gast netzwerken können. Gleichzeitig hat sich Sipgate zu einer Art Evangelisten für die agile Arbeitsweise entwickelt. Ein Buch wurde veröffentlicht, die monatlichen offenen Gesprächsrunden bei Bier, wer mehr darüber erfahren möchte, bekommt jederzeit eine Führungs durchs Haus.
Doch das ist nicht das, womit Sipgate in 2016 immerhin 20 Millionen Euro Umsatz gemacht hat. Auch wenn Sipgate damit gestartet ist, das Telefonieren in Deutschland billiger zu machen, war das nie der alleinige Antrieb. Vielmehr ist es die Freude am Feature: „Dem Kunden etwas bieten, was die anderen nicht haben“, sagt Geschäftsführer Tim Mois. Beispiel: ein Anrufbeantworter, der die Nachricht des Anrufers nicht nur per Mail als Sprachdatei weiterleitet, sondern Sprache sogleich in Text umwandelt. So reicht im Meeting ein kurzer Blick aufs Smartphone, um zu wissen, worum es bei einem verpassten Anruf ging. Oder: Faxen ohne Faxgerät. Eingehende Faxe erhält der Sipgate-Kunde als PDF per Mail, ein Fax sendet er, indem er ein PDF per Browser zu Sipgate hochlädt. VoIP schafft ungeahnte Freiheiten beim Telefonieren. Ein Düsseldorfer Unternehmensberater, der lieber überwiegend auf Mallorca lebt und von dort seine Kunden betreut, ist so bei bester Sprachqualität unter seiner Düsseldorfer Festnetznummer erreichbar, ohne dass dafür Extrakosten anfallen.
Typische Unternehmenskunden von Sipgate sind Werbeagenturen, Anwälte, Ärzte oder Architekten. Durch die Kooperation mit dem virtuellen Mobilfunknetzbetreiber Sipgate Wireless GmbH verfügt Sipgate seit 2012 über ein Mobilfunk-Core-Netz, welches die Mobilfunknetze der Telefónica nutzt.
Die Akzeptanz für virtuelle Telefonanlagen in der Cloud steigt von Jahr zu Jahr, sagen die Macher von Sipgate. Die Netztechnik sei gegenüber klassischen Telefonanlagen derart überlegen, dass nun auch eher konservativ denkende Unternehmer den Umstieg angehen. Neben Vorteilen wie wegfallenden Anschaffungskosten, günstigen Preisen und der Skalierbarkeit entwickelt sich die bei Sipgate mögliche Integration von Mobiltelefonen in die Telefonanlage zunehmend zum Kaufargument.
Die Mobiltelefonie ist nun das Projekt des Jahres 2018 bei Sipgate. Denn auch wenn die Angebote für Kunden im Mobilfunk immer besser werden, scheuen die meisten den Anbieterwechsel. Zwar hat jeder das Recht, seine Nummer mitzunehmen, dafür werden Gebühren berechnet und ob alles schnell und glatt läuft, ist nicht garantiert. Um dieses Problem zu lösen, hat sich Sipgate die Satelliteapp ausgedacht, mit Satelliten-Telefonie hat es aber nichts zu tun.
„Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter Sinnstiftend arbeiten und gleichzeitig tolle produkte bauen“
„Satelliteapp“ macht genau dieses Mobilfunk-Hopping nun einfacher. Denn die Nummer steckt dann in der App, nicht mehr auf der Sim-Karte. Die Telefonie läuft nur noch über die Datenverbindung - und das Datenvolumen dafür kann der Kunde einkaufen, wo er will. Er kann somit von Angeboten mit immer größeren Datenpaketen zu günstigen Preisen profitieren, ohne dass er jeweils seine Rufnummern von einem Anbieter zum nächsten übertragen muss. Die ersten Kritiken in der Fachpresse waren durchaus wohlwollend.
Welche größere Vision steckt hinter all dem? Tim Mois drückt es so aus: „Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter sinnstiftend arbeiten und gleichzeitig tolle Produkte bauen. Produkte, die anderen im digitalen Zeitalter bei der Arbeit helfen“, sagt Mois. Ein Beispiel sei Satelliteapp. Andere Produkte werden ständig weiterentwickelt. Beispiel: sipgate.io. „Wir wollen mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz und Spracherkennung Werkzeuge in die Hand geben, Kundengespräche noch effizienter zu gestalten“, sagt Mois. Denkbar wäre beispielsweise, dass die Maschine in einem solchen Gespräch aufgrund der Äußerungen direkt Vorschläge für die weitere Gesprächsführung macht.
Mois ist seine Unabhängigkeit wichtig. Zusätzliche Investoren oder ein Börsengang steht nicht auf dem Plan. Neues wird aus dem laufenden Geschäft heraus finanziert. „Wir schauen immer, dass sich Investitionen in neue und in Bestandsprojekte immer die Waage halten“, erklärt Mois. Auch die räumliche Expansion werde daraus gestemmt, denn für weitere Mitarbeiter wird es nun auch in der Gladbacher Straße 74 zu eng. Derzeit baut Sipgate gerade die seit Jahren leerstehende Schleckerfiliale schräg gegenüber um. Das Team der Satelliteapp wird dort einziehen. ●
Firma: sipgate
Geschäftsführer: Tim Mois, Thilo Salmon
Umsatz: 20 Millionen Euro
Seit 2004
Text: Andreas Kunze und Franziska Bluhm
Sechs Work-Hacks
Lean, agil, cross-funktionale Teamarbeit sind einige der Stichwörter, die Sipgate kennzeichnen.
Aber was bedeutet das in der Praxis?
1. Stickies
Auf den Fluren und in den Teamräumen ist die Zukunft von Sipgate auf Hunderten von Zetteln notiert, den Stickies. Die lassen sich leicht beschreiben, umhängen, korrigieren oder zu Themen gruppieren. Die Aufgaben des jeweiligen Teams und der aktuelle Stand sind sofort sichtbar - für jeden.
2. Stechuhr
Jeder arbeitet bei Sipgate 40 Stunden in der Woche. Überstunden sind tabu. Das Motto: Die Leute sollen nicht mehr, sondern besser arbeiten. Deshalb gibt es eine Stechuhr. Jeder Mitarbeiter hat 30 Tage Urlaub, die er auch nehmen muss. Wann er die nimmt, muss er nur mit seinem Team abstimmen.
3. Nachwuchs
Mitarbeiter können ihre Kinder mit ins Büro bringen. Ein Teil des Büros wurde zum Spielzimmer umfunktioniert. Die Kleinen dürfen auch mit dem Bobbycar durch die Gegend fahren, der Flur als Rennstrecke ist 75 Meter lang. Kinder stören nicht, sie erhöhen die Produktivität, heißt es
4. Weiterbildung
Von den Sipgate-Mitarbeitern wird erwartet, dass sie zweimal im Jahr an einer Fortbildung teilnehmen. Wann, wo, zu welchem Preis, entscheidet allein der Mitarbeiter. Er klebt dafür nur ein Stickie mit den Daten und seinem Foto auf die Weiterbildungstafel im Erdgeschoss. Das war‘s.
5. Feedback
Jede Woche erhalten fünf Sipgate-Mitarbeiter Feedback ihrer Kollegen, wie die Arbeit eingeschätzt wird: Was ist gut, weniger gut, was ist herausragend? Von wem man beurteilt werden möchte, kann man sich selbst aussuchen. Mit ihnen wird dann einzeln oder in der Gruppe gesprochen.
6. hausgemacht
Vom Essen im eigenen Restaurant über die Programmierung bis hin zum Callcenter – alles wird inhouse erledigt. Die Geschäftsführer sehen darin ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber Wettbewerbern. Der gute Grund: Der direkte Kontakt sei wichtig, um die Produkte zu verbessern.