Das Unvollendete
Die Stadt Düsseldorf hat ihr altes Rathaus nie geliebt. Ein neues sollte her: größer und mit einer auffälligeren Architektur. 50 Jahre lang entstanden immer neue Vorschläge, aber alle Entwürfe landeten in der Schublade.
Es ist die Geschichte des großen Scheiterns. Ein Drama, das sich über mehrere Jahrzehnte zieht. Beteiligt sind viele kluge Köpfe mit prominenten Namen: Mehr als 200 Architekten haben in Düsseldorf ihr Glück mit Entwürfen für das neue Rathaus versucht. 1911 wurde der erste Wettbewerb ausgeschrieben, 1961 der dritte und letzte Versuch eingeleitet. Die Resonanz war jedes Mal beachtlich. Einige Architekten rechneten bereits mit der Unterschrift für einen Auftrag. Doch gebaut wurde nie. So steht am Marktplatz noch immer das bescheidene Gebäude, das der Handwerksmeister Heinrich Tussmann im Jahr 1573 errichtete. Über die alternativen Lösungen des Düsseldorfer Rathausproblems spricht heute niemand mehr – und das ist wohl besser so.
Die Architekten orientieren sich bei ihren Entwürfen an der wachsenden Bedeutung der Stadt. Das neue Rathaus soll zum Symbol für eine aufstrebende Metro- pole werden. Sie planen repräsentative und zugleich massive Gebäudekomplexe entlang des Flusses. Die großen Gebäudeflügel des Rathauses sollen die Rheinfront dominieren, gekrönt mit Turm oder Kuppel. Franz Pätz schlägt 1913 den Bau eines 500 Meter hohen Industrieausstellungsturms aus Eisen vor. Weite Flächen der Altstadt sollen neu bebaut werden. Ein Entwurf aus 1920 führt die breit ausgebaute Flinger Straße durch einen Torbogen mitten im Rathaus über eine neue Brücke bis nach Oberkassel. Andere Visionen streben in die Höhe. Im besonders bejubelten Entwurf Anfang der 1960er Jahre von Rudolf Moser ragen die drei Türme des neuen Rathauses am Rheinufer mehr als 150 Meter in den Himmel. Das alte Rathaus und das Standbild von Kurfürst Jan Wellem sollen stehenbleiben, mehrere neue Plätze zwischen Maxhaus und Schlossturm verändern das Gesicht der Stadt.
Aber die großen Pläne verschwinden trotz der Vielfalt der Entwürfe allesamt in der Schublade. Mal fällt die Begeisterung der Jury nicht groß genug aus. Mal fehlt Geld wegen einer Wirtschaftskrise oder dem Beginn eines Kriegs. Mal werden sich Rat, Bürgermeister und Stadtverwaltung nicht einig. Die besten Chancen hat Rudolf Moser. Er darf sein Hochhaus-Trio noch einige Jahre weiterplanen, dann ist auch für ihn endgültig Schluss. Der Architekturkritiker Manfred Sack schreibt 1967 im Magazin „Zeit“, Mosers gefeierter Entwurf sei „gerade dabei, in einem Skandal elendig zu verenden“. Die Stadt schlägt Änderungen vor und stellt dem jungen Architekten erfahrene Kollegen zur Seite. Sack nennt diese Phase eine „Durststrecke, gespickt mit eklatanten Widersprüchen, mit Lug und Trug, mit eifersüchtigen Querschüssen und Verdächtigungen“. Der Autor sucht nach Erklärungen, warum das Rathaus nicht gebaut wird und findet einen „Sumpf, schwierig, ihn unbeschadet zu durchmessen, auch nach Unterhaltungen mit den Hauptpersonen dieser Farce und nach der Lektüre von Beweisstücken aller Art“.
Jeder mag selbst entscheiden, ob er Elemente aus den verschiedenen Planungen im Stadtbild vermisst. Der Düsseldorfer Architekt und Autor Edmund Spohr schreibt rückblickend in einem Buch über die Entwicklung des Rathauses: „Die Stadt kann sich glücklich schätzen, dass der Geist der kurfürstlichen Zeit am Marktplatz seinen Niederschlag gefunden hat und nicht allzu ehrgeizigen Plänen geopfert wurde.“ Der Wiederaufbau der heutigen Gebäudefront wird schließlich als einfache Lösung 1969 abgeschlossen. Hinter den historischen Fassaden steckt aber nichts Ursprüngliches. Das Mittelstück mit dem Haupteingang ist ein kompletter Neubau. Das ehemalige Wohnhaus des Bildhauers Gabriel Grupello, ein Dankeschön des Kürfürsten für das Reiterstandbild, beherbergt nun den Sitzungssaal. Auch das Innere des Tussmannbaus von 1573 verändert sich komplett. Die historischen Decken scheinen zunächst den Krieg überstanden zu haben, aber am Ende erweisen sich die Schäden als so groß, dass nur der Abriss bleibt. Damit wenigstens die Fassade und der schmale Treppenturm zum Marktplatz repariert werden können, sammeln die Arbeiter Steine aus anderen Teilen des Gebäudes.
Düsseldorf bleibt weiter ohne repräsentatives Rathaus. Das passt zur Geschichte der Stadt. Zur Zeit der Stadtgründung 1288 und danach entrichtet die Bevölkerung ihre Steuern und Pachtzahlungen ohnehin nicht in städtischen Gebäuden. Die Menschen liefern die Naturalien vermutlich direkt am Wohnsitz des damaligen Landesherrn, dem Grafen von Berg, ab. Der residierte im noch heute bestehenden Lieferhaus an der Liefergasse, damals Bestandteil der Stadtmauer und das einzige ganz aus Stein erbaute Altstadthaus. Dieser Teil nordöstlich der Lambertuskirche bildet Düsseldorfs eigentliche Altstadt, die bald durch eine Vorstadt entlang der Ratinger Straße wuchs. Die heutige Partymeile an der Kurzen Straße und der Bolker Straße gelten stadthistorisch gesehen bereits als Neustadt, das Ergebnis einer Erweiterung am Ende des 14. Jahrhunderts. An einem Rathaus hatten die Bürger offenbar nur wenig Interesse. Im Jahr 1470 verlegten sie die Ratssitzungen zwar in ein neues Gebäude auf der Ratinger Straße 6. Aber das Haus wurde später verkauft und gegen „ein weniger gut erhaltenes Gebäude“ am Marktplatz eingetauscht, wie es in den Archiven heißt. Ein Testament aus dem Jahr 1547 enthält eine lange Liste der Bauschäden. Auch danach tut sich in der wachsenden Stadt einiges: Der italienische Baumeister Alessandro Pasqualini baut das Stadtschloss um und errichtet den Schlossturm. Aber erst im Jahr 1567 bitten die Bürger ihren Herzog Wilhelm V, das „alte Bürgerhaus abbrechen und von neuem aufbauen zu lassen“.
Der Auftrag für das neue Rathaus geht aber nicht an die Söhne des inzwischen verstorbenen italienischen Baumeisters, die das Werk ihres Vaters im Rheinland fortsetzen. Am 25. Oktober 1570 schließen Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt Düsseldorf einen Vertrag mit Heinrich Tussmann, der mit „solcher Sorgfalt bauen soll, dass es für den Landesherren wie für die Stadt Düsseldorf Ansehen, Ehr und Zierat bringen werde“. Viel ist über den Handwerksmeister aus Duisburg nicht bekannt. Aber leicht hat er es nicht: Schon ein Jahr später stockt die Finanzierung, ein Hochwasser stört die Bauarbeiten und der Herzog muss noch einmal Geld nachschießen, bis das Gebäude endlich bezugsfertig ist. Tussmann wird nicht nur in Gulden bezahlt, sondern erhält auch eine reichliche Menge Bier als Lohn.
Die Düsseldorfer waren stolz auf ihr Rathaus, obwohl Tussmann auf einen hervorgehobenen Turm verzichtet, mit dem andere Städte ihre Selbstständigkeit nach außen darstellen. Auch der Zugang zum Rathaus bleibt wenig spektakulär und ohne Prunk: Eine schmale, aber überdachte Freitreppe führt zu einer Tür im Turm mit dem Treppenhaus. Der heutige repräsentative Eingang im linken Giebel mit dem kleinen Balkon entsteht erst 1749, als Kurfürst Carl Theodor die Verwaltung seiner Ländereien teilweise wieder nach Düsseldorf verlegt.
Wenn heute über das Rathaus diskutiert wird, dann geht es oft um die Nutzung des Marktplatzes und der ehemaligen Kämmerei. Tatsächlich herrschte rund um Jan Wellems Reiterstandbild lange Zeit viel Leben. Der Marktplatz trägt seinen Namen nicht von ungefähr, auch im Rathaus wurde lange Zeit Handel getrieben, beispielsweise in der städtischen Tuchhalle. Zum Hof lag eine große Küche, die auch „für öffentliche Gastmähler“ bestimmt war. Einen Ratskeller als Kneipe gab es auch. Als der Herzog seine Kanzlei neben dem Rathaus 1788 aufgab, entstand dort ein Konzert- und Tanzlokal. Das Gebäude neben dem Grupello-Haus diente von 1834 bis 1874 als Theater mit 842 Plätzen. Grund genug, den Marktplatz wieder zum Treffpunkt in der Altstadt zu machen. •
Eckdaten Rathaus
Decken und Dächer:
Renovierungen im Rathaus bargen viele Überraschungen. 1942 fanden Arbeiter in den Zwischenräumen der alten Balken in den Decken Rechnungsakten aus der Zeit von 1427 bis 1449. Im Jahr 1958 wurde die längst vergessene alte Rathausglocke von 1547 in der Balkenkonstruktion der Turmhaube wiederentdeckt. Da heute alle Gebäudeteile neu sind, darf man ähnlich spektakuläre Funde nicht mehr erwarten.
Bürofläche:
Der Platzbedarf der Rathausverwaltung wurde im Laufe der Jahrhunderte unter anderem durch Neubauten und Zukäufe gedeckt. So gehören auch die alten Gebäude an der Zollstraße längst zum Rathauskomplex, der sich bis an den Rhein und den Burgplatz erstreckt.
Ausstattung:
Das Innenleben des Rathauses wurde aus vielen Quellen zusammengetragen. Viele große Gemälde stammen von Künstlern der Düsseldorfer Malerschule. In der Eingangshalle und im Treppenhaus ist ein Teil der ungewöhnlichen Sammlung von Ofenplatten des Vereins der Deutschen Eisenhüttenleute ausgestellt.
Autor: Rainer Kurlemann
Fotos: Stadarchiv Düsseldorf
VIVID 04 | 2019
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