Die Zukunft kennt keinen Standard

Chairman bei GREY Worldwide, Gründer der Deutschen Markenarbeit und Sprecher der Geschäftsführung der Handelsblatt Media Group. Das sind nur einige Stationen von Frank Dopheide. Jetzt hat er seine neue Agentur „Human unlimited” gegründet. Dopheide ist der Überzeugung, dass die essenziellste Erfolgskomponente für eine zukunftsweisende HR-Strategie und ein positives Unternehmensergebnis der Mensch ist. VIVID hat ihn zum Interview getroffen. 

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VIVID: „Human is the next big thing” – das ist dein Claim? Was bedeutet er im Detail?

Frank Dopheide: „Human is the next big thing“ ist Wirkversprechen und Zukunftsmodell in einem. Die Wirtschaft hat auf ihrem obsessiven Weg der Automatisierung und Profitmaximierung die Menschen aus dem Auge verloren. Und der Mensch verlor seinen Glauben an die Unternehmen, deren Führung und ihren Wertebeitrag für Land und Leute. Aber ohne Mitarbeiter, Kunden, gesellschaftliche Akzeptanz ist kein Geschäft zu machen, und diese schmerzhafte Lektion lernen die Unternehmen gerade. Es ist offensichtlich eine überraschende Erkenntnis, aber die entscheidende Variable jeder Erfolgsformel ist der Mensch. Nach Jahrzehnten der Optimierung alter Erfolgsrezepte brauchen Unternehmen eine neue Leitidee, um Menschen, Vertrauen und Marktanteile zu gewinnen. 

Das Weltwirtschaftsforum schätzt, dass 65 Prozent der Kinder, die heute in das Schulsystem eintreten, in Karrieren landen werden, die es noch nicht gibt. Wie sollten die HR-Abteilung deutscher Unternehmen in Zukunft agieren und reagieren?

Das Bildungssystem in Deutschland ist die Dokumentation politischen Versagens auf der ganzen Linie. Ich empfinde es als Missbrauch am eigenen Kind und seiner Zukunft. Die Politik ist unfähig, es zu ändern, also muss die Wirtschaft das Thema „Ausbildung“ selbst in die Hand nehmen und neu denken. Das menschliche Potenzial freizusetzen wird der große Hebel: Neue Erlösmodelle beginnen mit Ideenreichtum. Das gilt es zu fördern. Bisher optimierten HR-Abteilungen Personalentwicklung eher durch Standardisierung: Bewertung, Fortbildung und Karrierepläne. Die Zukunft kennt keinen Standard. Heute gilt: Je unterschiedlicher der „Talentpool“, desto zukunftsfähiger die Organisation. Die Zukunft verlangt die Weisheit der Vielen und die Individualität des Einzelnen. Der genetische Unterschied unter uns Menschen bemisst sich auf gerade einmal 0,1 Prozent. Die große Aufgabe der Unternehmen wird sein, soviel wie möglich aus diesem kleinen Unterschied zu machen. 

Was kann der Mensch, was eine Technologie niemals können wird? 

Diese Liste ist endlos. Der Mensch kann unfassbare Dinge. Bloß weil sie uns leichtfallen, halten wir sie für einfach – sind sie aber nicht. Also, worauf wären Computer neidisch, wenn sie überhaupt je neidisch sein könnten? Wie wäre es zu Anfang mal hiermit: Mitgefühl, Kreativität, Glaube, Liebe, Träumen, Neugier, Staunen, Lachen, Witze erfinden. Menschen können über sich hinauswachsen. Technik kann meist nur eine Sache: funktionieren. Menschen können sich in Autos verlieben oder in ihren Thermomix. Aber Vorsicht – er liebt sie nicht zurück.

Größe schützt 
nicht vor dem 
Aussterben. Fragen 
Sie die Dinosaurier.

In den USA suchen immer mehr Unternehmen nach einem „Chief Storyteller”. Ist es das, was den Menschen von Technologie unterscheidet? Er kann Geschichten erzählen und ist selbst Geschichte? 

Kommunikation ist seit Menschengedenken die Schlüsselqualifikation aller großen „Anführer“. In Zeiten dramatischer Umbrüche und hoher Unsicherheit wird die Fähigkeit zur Kommunikation lebenswichtig. Menschen vertrauen Menschen. Noch besser als in E-Mails können wir in Gesichtern lesen. Gerade bei komplexen Themen greift dieser Reflex der Vereinfachung. Es gibt nur eine Spezies, die sich in Zahlen verlieben kann – der gemeine Controller. Der Rest der Menschheit und der Belegschaft liebt Geschichten, seit Adam und Eva. Das große Bild und meine Rolle darin helfen bei der Orientierung, fördern die Bindung und stärken die Gemeinschaft. Selbst die Investoren lieben Geschichten. Der größte Werttreiber der Börse ist die Fantasie, nicht der Abschlussbericht. Seitdem die CEOs nur noch Zeit für Excelcharts haben und ein Buch nur noch im Urlaub zur Hand ist, wird auch ihre Kommunikation ärmer. Das rächt sich. 

Investitionen, also nicht in Künstliche Intelligenz, sondern in Bildung und Talentförderung?

Der Mensch muss beim Denken von Innovationen und Organisationen immer in den Mittelpunkt. Dahinter lässt sich dann alles automatisieren. Das braucht aber auch in Zukunft viel Geld. Unternehmen investieren in die Mitarbeiterförderung schon eine Menge, Siemens allein über 500 Millionen Euro jedes Jahr. Der Fortbildungsetat ist zehnmal größer als der weltweite Marketingetat. Es ist also weniger eine Frage des Geldes, sondern eher eine Frage des Wie und Was. Und da gibt es unfassbar viel zu tun. 

Was bedeutet für dich Social Value? 

Social Value wird zur Messgröße für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Diese Zahl dokumentiert den Mehrwert, den ein Unternehmen für die Gesellschaft erwirtschaftet. Bleibt der Wert gering, ist es eine Frage der Zeit, bis die Gesellschaft rebelliert. Sie wird Milliarden für die Wenigen auf Kosten der Vielen nicht mehr akzeptieren. Die berühmte „licence to operate“ wird entzogen. Blicken wir auf die Tabakindustrie, sie ist in akuter Lebensgefahr. Die Finanzbranche auf dem Weg dorthin. Und so undenkbar es heute erscheint: Auch Facebook ist nicht auf der sicheren Seite. Größe schützt nicht vor dem Aussterben. Fragen Sie die Dinosaurier. Jedes Geschäftsmodell muss in Zukunft auch der Gesellschaft zur Freigabe vorgelegt werden, Social Value wird dabei ein entscheidendes Argument werden. 

In einem Interview sagst du: „Unternehmen brauchen einen Sinn, der größer ist als Geld.” Welcher Sinn wäre das? 

Unternehmen, ihre Handlungen oder Produkte müssen das Leben der Menschen in irgendeiner Weise positiv beeinflussen. Wenn das, was das Unternehmen produziert, kein einziges der 17 Ziele der Vereinten Nationen für die nachhaltige Entwicklung der Menschheit berührt, wird es Zeit, innezuhalten und nachzudenken. Wer nur im Business ist, um Geld zu scheffeln, kann auch Kokain verkaufen. Das ist vermutlich sogar profitabler.

Wie sieht das „perfekte” Unternehmen für dich aus? Welche Strukturen hat es, welche Werte vermittelt es?

Es hat ein tolles Produkt und eine gute Seele. Es ist angstfrei und empathisch, menschenorientiert und verantwortungsvoll. Deshalb ist es ungewöhnlich erfolgreich und vorbildlich. Virgin und Richard Branson sind schon nah dran. 

Wir sind neugierig: Dein neues Projekt heißt „human unlimited”, wir möchten mehr darüber erfahren.

Human unlimited ist eine Agentur der neuen Art und wendet sich an Unternehmenslenker, die erkennen, dass ihre etablierten Business-, Kommunikations- und Führungsmodelle nicht mehr funktionieren und darum eine neue Leitidee suchen – ihren Purpose. Wir bieten keine Beratung, sondern Entfaltung. Am 2. Februar 2020 öffnen wir unser Büro im Düsseldorfer Medienhafen. Ich habe die sieben schlauesten, kreativsten und kritischsten Menschen der Welt eingestellt. Es soll mein Meisterstück werden. Und aufregend ist es schon jetzt. •

www.humanunlimited.de

Frank Dopheide

Geboren am:

29. Juli 1963

Werdegang:

• Im Februar 2020 eröffnet er die Agentur human unlimited.

• Seit 2014 Sprecher der Geschäftsführung bei der Handelsblatt Media Group. 

• 2011 gründete er die Deutsche Markenarbeit, die sich auf das Thema Manager als Marke konzentriert.

• Zuvor war er Chairman bei Grey Worldwide. 


Autorin: Britt Wandhöfer


VIVID 01 | 2020

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