Nine-to-Five kennt sie nicht
Natalie Daghles ist zweifache Mutter, Juristin und Partnerin in einer renommierten internationalen Anwaltskanzlei, und das mit 38 Jahren.
Wie das funktioniert? Begeisterung und Neugierde. VIVID hat sie zum Interview getroffen.
Name: Natalie Daghles
Job: Rechtsanwätin bei Latham & Watkins
Das Spektakulärste in ihrem Büro im 11. Stock des Dreischeibenhauses ist die Aussicht auf Düsseldorf und die Mega-Baustelle des Kö-Bogen II. Das Interieur in den vier Wänden ist sachlich-schlicht, ein streng-grafisches, pink-orangefarbenes Bild von Gero Gries hängt an der Wand, kein privates Foto oder etwas Persönliches findet sich auf dem Schreibtisch. Natalie Daghles, die promovierte, auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Juristin, liebt klare Strukturen und hat es gern aufgeräumt. Sie ist ohnehin viel auf Reisen in den USA, Asien, China, dem Mittleren Osten, arbeitet von zu Hause, im Flugzeug, an Orten weltweit – technisch flexibel, den Computer stets im Gepäck („ich arbeite nicht mit Papier“). Denn im Zeitalter der Digitalisierung werden Mandate, zumal in einer der weltweit größten, global tätigen Transaktionskanzleien wie Latham & Watkins, längst nicht nur aus dem Büro betreut.
Dass sie Anwältin werden wollte, wusste die 38-Jährige mit deutsch-arabischen Wurzeln schon sehr früh, und das Aufgabengebiet sollte international sein. Bereits als Schülerin lebte sie ein Jahr in Kalifornien. Nach dem Jurastudium in Münster mit dem Schwerpunkt US-Recht, arbeitete Natalie Daghles als Referendarin im deutschen Generalkonsulat in San Francisco, in einer internationalen Kanzlei in New York schrieb sie ihre Doktorarbeit über den UN-Sicherheitsrat.
„Völkerrecht ist spannend, aber noch aufregender finde ich wirtschaftliche Zusammenhänge und sie zu verstehen, wenn es um die passgenaue rechtliche Beratung bei Fusionen und Übernahmen (Mergers and Acquisitions – M&A) geht“, sagt die Deal-Dirigentin. Verträge zu verhandeln, Konzerne neu aufzustellen – das ist ihr Ding, da läuft sie zur Höchstform auf und brennt dafür, aktiv zu gestalten. Ob Energiesektor oder Beautybranche, Industrieunternehmer oder Online-Plattformen – ein Unternehmenskauf – je internationaler, je komplizierter, je teurer, desto besser und abwechslungsreicher. Seit 2013 ist Daghles bei Latham & Watkins. Inzwischen ist sie eine von weltweit 700 Partnern, „orchestriert“ im Corporate Department in Düsseldorf ein internationales Team und baut ihr eigenes Business auf. Sie berät schwerpunktmäßig börsen- und nicht börsennotierte Unternehmen und Investoren bei nationalen und grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen. Sie ist ein leidenschaftlicher Teamplayer ganz nach der Devise: Auch wenn man schlau ist, ist man nie so schlau wie ganz viele Schlaue. „Teams, die unterschiedliche Perspektiven zusammenführen, funktionieren besser; jeder bringt seine Stärken ein“, davon ist Daghles überzeugt. In der Branche gilt sie als eine von 40 aufstrebenden Juristen unter 40, denen viele im Markt eine große Zukunft voraussagen. Dabei kann sie mehr als nur Paragrafen und Klauseln, Akten- und Schriftsätze-Wälzen. Sie ist Mutter von zwei kleinen Kindern, sieben und vier Jahre alt, mit einem Mann verheiratet, der auch als Transaktionsanwalt in einer konkurrierenden Großkanzlei tätig ist. Die Familie lebt mit ihren Eltern in einem Mehrgenerationenhaus. Sie ist Netzwerkerin, fördert junge Talente und engagiert sich für Diversität („das ist mehr als ein Gender-Thema“), für multikulturelle Teams, intern und extern.
Arbeitszeiten von Nine-to-five kennt sie nicht. „Das geht gar nicht. Ich bewege mich in mehreren Zeitzonen, von der US-Westküste bis nach Asien.“ Notwendig sei es, Arbeit flexibler zu organisieren, um auf die verschiedenen Mandantenbedürfnisse optimal reagieren zu können. „Wir müssen permanent Dinge neu, anders, effektiver erledigen, also innovativ sein.“
Klug und kompetent, selbstsicher und sympathisch bewegt sie sich in der männerdominierten Anwaltswelt, wo Frauen an der Spitze immer noch eine rare Spezies sind. Natalie Daghles gilt als Vorreiterin, vielen ist sie ein Vorbild. Sie hat sich behauptet und auch in Sachen Kleidungsstil emanzipiert: Statt Blüschen und formeller Jackets wie in ihren Anfängen („das passt überhaupt nicht zu mir“), trägt sie heute schmal geschnittene Kleider, pinke Mäntel und hohe Schuhe. Sie prescht vor, wenn es darum geht, begabte junge Frauen zu fördern. „Deren Karriere kann doch nicht an der Familienfrage scheitern, da müssen individuelle Lösungen her“, betont die 38-Jährige. Vieles ist ihr viel zu verstaubt, „mehr Innovationen und ein bisschen mehr vom Silicon-Valley-Geist wären gut“. Sie setzt nicht nur als Vice Chair von Latham & Watkins’ Women Enriching Business (WEB) Committee deutliche Zeichen, vielmehr auch als eine der Initiatorinnen von IWiL, dem gemeinnützigen Verein „Initiative Women into Leadership“.
Im Mittelpunkt des Netzwerks steht das Cross-Mentoring-Programm: Erfolgreiche Frauen werden von ihren Arbeitgebern in das Programm nominiert, dürfen ihren Mentor regelmäßig treffen und sich in ihren Jobthemen Rat und Exklusiv-Tipps geben lassen. Im Gegenzug sollen sie sich fortbilden, um ähnliche Ziele zu erreichen. „Die karriereorientierten Frauen sollen lernen, sich strategisch zu positionieren, wie Chefs zu denken, zielsicher und schnell zu entscheiden“, erklärt Daghles. Als Mitgliedsunternehmen konnten u.a Deutsche Bahn, Coca Cola, IKB, innogy, Brenntag, VW und Douglas mit Tina Müller an der Spitze gewonnen werden. Mit Top-managern – weiblich und männlich – werden dann die Tandems aus Mentoren und Mentees gebildet.
Von Natalie Daghles können die jungen Talente auf jeden Fall lernen, wie man einen kühlen Kopf bei Vertragsverhandlungen behält und auch in Zeiten, wenn Transaktionen heiß laufen: Dann bekommt die Anwältin wenig Schlaf, dafür täglich umso mehr Mails. Längst ist nicht mehr nur ihr juristisches Können gefragt, sie verteilt Aufgaben, bildet Pools aus den jeweils besten Spezialisten, behält den Überblick. Natalie Daghles scheint extrem gut organisiert: „Ich entscheide, was dringend und was wirklich dringend ist.“ Dazu gehört auch die freie Zeit mit ihrem Mann und den Kindern. An den Wochenenden ist die Familie aktiv, macht Ausflüge, fährt Fahrrad, wandert. Die Berge in Österreich sowie Florida und seine Küste sind zwei der Lieblingsorte, an denen die Top-Anwältin ihre Akkus auflädt. •
Daten und Fakten
Latham & Watkins zählt weltweit zu den führenden Kanzleien. In Deutschland beraten mehr als 170 Anwälte an den Standorten Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt und München deutsche und internationale Mandanten in der gesamten Bandbreite des Wirtschaftsrechts. Eingebettet in ein Netzwerk aus über 2.700 Anwältinnen und Anwälten in 30 Büros, bieten die deutschen Büros fach- und länderübergreifende Rechtsberatung aus einer Hand.
Latham & Watkins versteht sich als „One-Firm Firm“. Das heißt: Beratung integriert als eine Kanzlei weltweit. Die Anwälte arbeiten in internationalen Komitees zusammen und sind mit neuesten Technologien weltweit vernetzt.
VIVID 04 | 2019
Das ganze Magazin gibt es im Handel und im Abo.