„Wir lernen jeden Tag dazu“

Was bedeutet Corona für diejenigen, die täglich an vorderster Stelle daran arbeiten, das Virus einzudämmen? David von der Lieth, Leiter der Feuerwehr, und Dr. Klaus Göbels, Leiter des Gesundheitsamtes der Stadt  Düsseldorf, im Interview. 

Welt.jpg

VIVID: Mit der Ausbreitung eines so gefährlichen Virus wie COVID-19 haben wir es hierzulande noch nie zu tun gehabt. Welche besonderen Herausforderungen bringt das für die Feuerwehr mit sich, wenn Erfahrungswerte fehlen? 
David von der Lieth: Die Pandemie ist eine neue, sich täglich ändernde Herausforderung für die Feuerwehr Düsseldorf. Großbrände, Hochwasser oder Unfälle mit vielen Verletzten kennen wir und können dort auf eine große Erfahrung zurückgreifen. Seit Januar bereitet sich die Feuerwehr Düsseldorf auf diesen Fall vor. Es wurden große Pakete an Infektionsschutzkleidung zusätzlich beschafft und eine mehrstufige Schutzplanung eingeführt. In dieser Schutzplanung, die mit einer Pandemieplanung vergleichbar ist, sind die einzelnen Szenarien mit entsprechenden Maßnahmen beschrieben. Wir haben seit Ende Februar eine Feuerwehreinsatzleitung etabliert, in der die Planungen umgesetzt werden und auf Lageveränderungen reagiert wird. Dabei ist es uns vor allem wichtig, dass wir trotz einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus in Düsseldorf weiterhin die Einsatzfähigkeit der Feuerwehr und des Rettungsdienstes aufrechterhalten. 

„Es ist eine Situation, wie sie selbst in den schlauen Büchern zu Pandemieplanungen nicht beschrieben wird.“

VIVID: In Düsseldorf wurde bei insgesamt 806 Personen eine Infektion mit dem Coronavirus COVID-19 diagnostiziert (Stand: 14. April). Wie schauen Sie auf die nächsten Wochen und Monate? Wie wird sich die Lage Ihrer vorsichtigen Einschätzung nach entwickeln? Und welche Maßnahmen ergreift die Feuerwehr auch in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt, um jetzt bestmöglich vorbereitet zu sein?
David von der Lieth: Wie genau sich das Coronavirus in Deutschland und dann in Düsseldorf ausbreiten wird, können wir noch nicht abschätzen. Die Zahlen aus den anderen Ländern zeigen, dass sich die Situation rasch ändern und es zu einem sprunghaften Anstieg an Erkrankten kommen kann. Die Feuerwehr Düsseldorf ist gut auf die Situation vorbereitet. Beispielsweise kann der gesamte Rettungsdienst mit rund 140.000 Einsätzen pro Jahr über mehrere Monate komplett jeden Einsatz mit Infektionsschutzausrüstung durchführen. Das Krisenmanagement der Landeshauptstadt hat sich schon im Februar regelmäßig zusammengesetzt und die weitere Vorgehensweise geplant. In enger Zusammenarbeit konnten so über die letzten Wochen mehrere Möglichkeiten zur Diagnosestellung und Informationsweitergabe an die Bürgerinnen und Bürger geschaffen werden. Ein Diagnosezentrum, ein Drive-In-Abstrich-Service und ein mobiler Service für die besonders gefährdete Menschengruppe sind in Düsseldorf eingerichtet und in Betrieb genommen worden. Derzeit liegt der Bedarf bei rund 300 Abstrichen pro Tag. Neben den Tests in Krankenhäusern und Arztpraxen wollen wir die Testkapazität der drei städtischen Einrichtungen von etwa 300 pro Tag in einem ersten Schritt auf 800 pro Tag anheben.

VIVID: Was beobachten Sie und Ihre Kollegen im Einsatz: Was sind typische problematische Verhaltensweisen seitens der Bevölkerung im Umgang mit dem Virus? Was raten Sie? 
David von der Lieth: Die Bürgerinnen und Bürger in Düsseldorf gehen sehr gut mit den Einschränkungen um. Um die Einsatzkräfte der Feuerwehr und des Rettungsdienstes weiterhin so gut wie möglich zu schützen, haben wir bereits beim Notrufeingang das Abfrageschema in der Leitstelle der aktuellen Situation angepasst. So wird bei jedem medizinischen Notruf abgefragt, ob zum Beispiel Fieber, Gliederschmerzen oder andere respiratorischen Symptome vorliegen. Ich kann nur empfehlen sich an die Handlungsanweisungen der Behörden zu halten. Das heißt in der momentanen Situation Abstand zu halten, regelmäßig die Hände zu waschen und an eine entsprechende Husten- und Nies-Etikette zu denken. Dazu zählen aktuell noch die Kontaktbeschränkungen, um die Ausbreitung zu entschleunigen und somit eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. 

VIVID: Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Kollegen im Einsatz ausreichend geschützt sind? 
David von der Lieth: Wir haben bereits Ende Januar mit der Aufstockung von FFP-3 Atemmasken, Schutzoveralls, Schutzbrillen sowie Hände- und Flächendesinfektionsmitteln für unsere Lager begonnen und haben derzeit ausreichend Schutzausrüstung für unsere Mitarbeiter zur Verfügung. Dabei ist nicht nur der Schutz der Mitarbeiter wichtig, sondern auch dass der Rettungsdienst nicht als Überträger des Virus fungiert. Um weiterhin den hohen Desinfektionsstandard bei den Rettungsfahrzeugen zu gewährleisten, wurden die Kapazitäten in diesem Bereich erhöht. Aktuell werden rund 30 Einsatzfahrzeuge des Rettungsdienstes innerhalb von 24 Stunden an einem zentralen Ort nach einem bestätigten oder einem Verdachtsfall desinfiziert. Auch dort sind noch größere Kapazitäten möglich und können innerhalb weniger Stunden aktiviert werden. Seit Anfang März wurde die Dienstplanung umgestellt. Von einem sehr flexiblen Schichtplan wurden pro Feuer- und Rettungswache drei feste Dienstgruppen gebildet, die immer abwechselnd ihren Dienst versehen. So lassen sich mögliche Ausfälle reduzieren und es entstehen weniger direkte Kontakte. Zudem wurden die Reinigungs- und Desinfektionsarbeiten an den Standorten erweitert. 

VIVID: Ihre Kollegen und Sie sind seit Wochen rund um die Uhr im Einsatz. Wie erleben Sie diese Zeit? Wie kommen Sie mit einem so enormen Arbeitspensum zurecht? 
David von der Lieth: Die beginnende Epidemie in unserem Land stellt jeden Einzelnen und unsere Feuerwehr vor große Herausforderungen und ist für die Beschäftigten deutlich fordernd. Es ist eine Situation, wie sie selbst in den schlauen Büchern zu Pandemieplanungen nicht beschrieben wird. Wir lernen jeden Tag dazu. Müssen Entscheidungen jeden Tag überprüfen. Über das Virus ist noch nicht alles bekannt. Ich hoffe, dass es bei vielen Erkrankten lediglich leichte Krankheitsverläufe gibt und dass es nur zu einzelnen schweren Verläufen kommt. Ich bin sehr froh, mich auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Feuerwehr verlassen zu 

2018_10_26-Feuerwehr_010.JPG

DAVID VON DER LIETH

Leiter der Feuerwehr Düsseldorf
Feuerwehr Düsseldorf

• 8 Feuer- und Rettungswachen, verteilt im Stadtgebiet 
• 7 Rettungswachen, verteilt im Stadtgebiet
• 1 Leitstelle
• 1 Umweltschutzwache
• 1 Feuerlöschbootstation
• 1 Feuerwehrschule
• 1 Rettungsdienstschule
• 1.050 Mitarbeiter, zusätzlich 350 Feuerwehrleute der Freiwilligen Feuerwehr 
• rund 140.000 Einsätze pro Jahr

Adresse: Hüttenstraße 68 | 40215 Düsseldorf

www.duesseldorf.de/feuerwehr






„Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass es nur eine einzige wirksame Maßnahme gibt.“



VIVID: Das Coronavirus stellt auch Sie und Ihr Team vor ganz neue Herausforderungen. Was sind aktuell die größten?
Dr. Klaus Göbels: Die größte Herausforderung ist es zurzeit, alle Informationen, die auf uns hereinprasseln, zu bündeln und geordnet weiterzuverarbeiten. Ich bin froh, dass wir gemeinsam mit der Feuerwehr ein Lagezentrum im Gesundheitsamt eingerichtet haben, das es uns ermöglicht, strukturiert zu arbeiten. Auch die Arbeitszeiten spielen eine große Rolle: Es ist wie ein Marathonlauf und seit Mitte Februar arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Wochenenden durch. Dabei achten wir insbesondere darauf, dass es auch Ruhe und Auszeiten gibt, damit wir weiterhin als vollbesetzte Mannschaft einsatzfähig sind. 

Wie erleben Sie die Düsseldorfer Bürger, die sich beim Gesundheitsamt melden? 
Dr. Klaus Göbels: Ich weiß, dass es bei dem einen oder anderen zu sehr besorgten Reaktionen kommt. Das kann ich durchaus verstehen. Wichtig ist, dass wir auch in dieser Situation alles tun, um denjenigen, die einen schweren Krankheitsverlauf haben, adäquat helfen zu können. In den Kliniken stehen dafür Intensivkapazitäten bereit. Diese können auch im Bedarfsfall weiter ausgebaut werden. Ob man das wirklich braucht, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar. Wenn sich eine Situation wie in Italien oder Spanien auch in Düsseldorf einstellt, sind wir froh um jedes Beatmungsbett. 

Wie ist die Lage in den Kliniken? Und wie flexibel können Sie im Zweifel reagieren, um Kapazitäten aufzustocken? Und in diesem Zusammenhang: Wie weit sind Ihre Vorbereitungen für ein provisorisches Krankenhaus? 
Dr. Klaus Göbels: Momentan sind in allen Düsseldorfer Krankenhäusern Patienten mit Coronavirus-Infektion in Behandlung. Das betrifft sowohl die Normal- als auch die Intensivstation. Bisher haben wir noch keine Kapazitätsengpässe. Die Kliniken haben vorgesorgt, dass auch in Aufwachräumen oder in den „Intermediate Care Stationen“ Patienten notfalls beatmet werden können. Ein provisorisches Krankenhaus ist eine Option, die wir – sollte sich die Lage deutlich verschlechtern – im Hinterkopf behalten müssen. Limitierende Faktoren sind dabei die Beatmungskapazitäten. Ich halte es für sinnvoller, schwere bis mittelschwere Fälle in den Krankenhäusern zu behandeln. Leichtere oder schon genesene Fälle könnten gegebenenfalls in einem solchen provisorischen Krankenhaus behandelt werden. Wir müssen dies von Woche zu Woche neu bewerten. Klar ist, dass alles getan wird, um die Menschen in Düsseldorf zu versorgen. 

Die Prozesse zum Umgang mit dem Coronavirus COVID-19 sind sicher sehr komplex. Wie laufen die einzelnen Fäden zusammen? Und wie gewährleisten Sie mit Ihrem Team, dass schnell und gewissenhaft agiert wird?
Dr. Klaus Göbels: Momentan „fliegen“ wir hier ein „Flugzeug“, was wir gerade erst konstruiert haben. Da ist es insbesondere in der Anfangsphase ganz normal, dass Prozesse noch nicht perfektioniert sind. Die Feuerwehr und das Gesundheitsamt sowie die gesamte Stadtverwaltung arbeiten sehr eng zusammen, um die Prozesse stetig anzupassen und zu optimieren. Ein wichtiger Punkt ist dabei die Digitalisierung. Dort ist in den letzten Jahren viel zu wenig passiert. Ich hoffe aber, dass durch die jetzige Situation Prozesse angestoßen werden, die auch nachhaltig dazu führen, dass sich hier etwas verbessert. Zum Beispiel arbeiten wir zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung an der Implementierung einer Software zur Kontaktpersonennachverfolgung. Sie wurde speziell für solche Situationen entwickelt. 

Inzwischen wurde in Düsseldorf bei insgesamt 806 Personen (Stand 14. April) eine Infektion mit dem Coronavirus COVID-19 diagnostiziert. Die Zahl steigt weiter. Wie lassen sich hier überhaupt noch Kontakt-personen ermitteln? 
Dr. Klaus Göbels: Bei den positiv getesteten Personen werden die Kontaktpersonen ermittelt und entsprechend abgesondert. Dies passiert weitestgehend manuell, das heißt: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter telefonieren mit den Betroffenen und sie erhalten eine schriftliche Ordnungsverfügung vom Gesundheitsamt. Von Situationen wie in Südkorea oder Taiwan, wo die Daten zur Ermittlung der realen Kontakte ausgelesen werden, sind wir meilenweit entfernt. Natürlich muss man auch die andere Seite der Medaille betrachten: Solche Verfahren stellen einen erheblichen Eingriff des Staates dar. 

„Düsseldorf steht aufgrund der engen Zusammenarbeit mit der
Feuerwehr gut da.“

Wie sieht die Lage in den Düssel-dorfer Unternehmen aus: Wie wirksam sind womöglich die dort getroffenen Maßnahmen – oder umgekehrt: Inwiefern können Sie manche Infektionen womöglich darauf zurückführen, dass Arbeitnehmer zum Beispiel noch nicht im Homeoffice arbeiten? 
Dr. Klaus Göbels: Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass es nur eine einzige wirksame Maßnahme gibt. Vielmehr sind es verschiedene Mosaiksteine, die in der Summe dazu beitragen, dass sich die Neuinfektionen hoffentlich verlangsamen und die Kapazität des Gesundheitssystems nicht vollends in die Knie geht. Natürlich ist der Beitrag der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Homeoffice weiterarbeiten, immens. Schon allein durch sie sinkt die Wahrscheinlichkeit der Übertragung für die Coronavirus-Infektion. 

Inwiefern stehen Sie auch mit Gesundheitsämtern anderer Städte im Austausch und lernen womöglich voneinander?
Dr. Klaus Göbels: Der Austausch der Gesundheitsämter untereinander ist aufgrund der extremen Arbeitsbelastung mehr oder minder zum Erliegen gekommen. Es gibt mit einigen größeren Städten Mail-Kontakte. Die Situation ist überall ähnlich. Düsseldorf steht aufgrund der engen Zusammenarbeit mit der Feuerwehr und der Tatsache, dass die Notärzte vom Gesundheitsamt in eigener Zuständigkeit koordiniert werden, gut da. Dennoch ist es wichtig, dass man die richtigen Lehren und Schlüsse aus der Coronakrise zieht. Eine übergeordnete Steuerung bei epidemiologischen Lagen, die sich nicht nur darauf beschränkt, E-Mails zu versenden und Berichte abzufragen, sowie das Voranbringen der Digitalisierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes sind die beiden wichtigsten Handlungsfelder. •

Beide Interviews fanden Anfang April statt, spiegeln also die Lage zu diesem Zeitpunkt wider. Die Infiziertenzahlen wurden zum Redaktionsschluss Mitte April angepasst.

IMG_0789.jpg

Dr. Klaus Göbels

Leiter des Gesundheitsamtes Düsseldorf
Gesundheitsamt Düsseldorf

• 1 Amtsleitung
• 5 Abteilungen mit unterschiedlichen Aufgaben
(u. a. Gesundheitsschutz, Prävention und
Gesundheitsförderung
• 220 Mitarbeiter

Adresse: Kölner Str. 180 | 40227 Düsseldorf 
www.duesseldorf.de/gesundheitsamt


Interview: Elena Winter